Rund 200 Besucher*innen, die auf sieben Stationen die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiter*in kennenlernten. Peers, die im Rathaus Wien ihre persönliche Geschichte schilderten und gemeinsam mit ihren Kolleg*innen Einblick in den Arbeitsalltag gaben. Das war die exPEERience 2024. Die mittlerweile vierte Fachtagung zu Peer-Arbeit in der Wiener Wohnungslosenhilfe. Eine Rückschau.
Stimmenfang: Das Stadtgespräch
Wie kann die Wiener Wohnungslosenhilfe besser gemacht werden? „Mit Peer-Arbeit“, gab sich Elisabeth Hammer, neunerhaus Geschäftsführerin, überzeugt und führte aus, dass Peer-Arbeit genau das widerspiegelt, was neunerhaus leisten will: Hilfe auf Augenhöhe. Und das sei mit Peer-Arbeit gelungen, gratulierte Peter Hacker, Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport in seinen Grußworten zu Beginn der Veranstaltung.
Im Stadtgespräch unterhielten sich Alyin D. und Christian R., Peer-Mitarbeiter*innen, Sandra Frauenberger, Geschäftsführerin Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen, Elisabeth Hammer, Geschäftsführung neunerhaus, Markus Hollendohner, Leitung Wiener Wohnungslosenhilfe Fonds Soziales Wien und Eveline Holzmüller, Stadt Wien – Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht A40 darüber, wie Peer-Arbeit in Wien wirkt. Sandra Frauenberger hielt fest, dass Peer-Arbeit Soziale Arbeit demokratisiere und mittlerweile kein Nice-to-Have, sondern ein Must-Have sei. Aylin D., war selbst wohnungslos und kennt Einrichtungen als Nutzerin, aber auch als Peer-Mitarbeiterin. Für sie ist es wichtig, dass nach den strukturellen und systemischen Ursachen, die zu Wohnungslosigkeit führen, gefragt wird und Belastungen auf beiden Seiten gesehen werden: die der Nutzer*innen und die der Einrichtungen. Peer-Arbeit verändere Perspektiven, sie entstigmatisiere und bringe einen Perspektivenwechsel, so der Tenor auf der Bühne. Dass dieser Perspektivenwechsel aber keine Einbahnstraße sei, merkte Christian R. an.
2019 wurden am neunerhaus Peer Campus erstmals Peers ausgebildet. Seither sind in einem Drittel aller Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe Peers angestellt, weiß Markus Hollendohner. Für ihn habe Peer-Arbeit kein Ablaufdatum. Besonders wichtig sei, dass ehemalige obdach- oder wohnungslose Menschen mit ihrem reflektierten Wissen anderen helfen können.
Sieben Monate, sieben Stationen: Ausbildung zu Peer-Mitarbeiter*innen
Alyin D. ist zweifache Mutter und ehemals wohnungslos. Sie hätte gerne studiert oder eine Ausbildung angefangen. Doch ohne finanzielle Rücklagen, konnte sie sich kein Studium oder herkömmliche Ausbildung leisten. Sie war Mitte zwanzig als sie 2022 die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiterin am neunerhaus Peer Campus abschloss.
Meine Lücken im Lebenslauf versuchte ich immer zu kaschieren. In der Peer-Ausbildung wurden sie plötzlich zur Kompetenz.
Aylin D. über die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiterin der Wohnungslosenhilfe
Wie man Peer der Wohnungslosenhilfe wird, wurde an sieben Stationen von Peers und ihren Kolleg*innen beantwortet. Besucher*innen wanderten in Gruppen zu den einzelnen Stationen und erfuhren Informationen aus erster Hand über Obdach- oder Wohnungslosigkeit als Voraussetzung, Details zum mehrstufigen Bewerbungsverfahren, zu den sieben inhaltlichen Modulen der Ausbildung, den Lerngruppen, verpflichtenden Praktika und schließlich zur Abschlussarbeit und der nachfolgenden Weiterbildung und Qualitätssicherung der Peer-Arbeit. Welchen persönlichen und fachlichen Entwicklungsschritt die Peers in der Ausbildung und auch danach hinlegen, erzählte Marianne R. an einer der sieben Stationen. Sie absolvierte 2022 den Zertifikatskurs. Die Präsentation der Abschlussarbeit bereitete ihr große Sorgen, partout wollte sie nicht vor einem Publikum sprechen, brach so sogar in Tränen aus. Doch die Kursleitung Johanna G. und ihre am Peer Campus neu gewonnenen Freund*innen unterstützten sie. Heute, sagt sie, kann sie ohne weiteres vor Publikum sprechen, wie sie auf der exPEERience 2024 vor rund 200 Gästen unter Beweis stellte.
Bühne frei: Peer-Arbeit in der Praxis
Mittlerweile haben knapp 100 ehemalige obdach- oder wohnungslose Menschen die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiter*in am Peer Campus abgeschlossen. Die Hälfte von ihnen arbeitet in 40 Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe. „Ich bin vom Dreirad auf ein Motorrad gestiegen,“ fasst Monika Stark die Vorteile der Peer-Arbeit zusammen. Sie ist Ärztin und betreut seit über 20 Jahren obdach- und wohnungslose Menschen medizinisch, seit 2022 gemeinsam mit ihrer Peer-Kollegin Iana D. Für die Ärztin eine enorme Entlastung in der medizinischen Betreuung von obdach- und wohnungslosen Menschen.
Wenn sie mich brauchen, bin ich für sie da.
Sonja R. arbeitet als Peer im Chancenhaus Favorita. Die Bewohner*innen liegen ihr Herzen.
Wie vielfältig die beruflichen Aufgaben einer Peer-Mitarbeiter*in sind, zeigten die Beiträge aus insgesamt sechs Einrichtungen, die am Nachmittag im Rahmen des Programmpunktes ‚Bühne frei ‘ präsentiert wurden. Yvonne G. wurde von neunerimmo, der neunerhaus Tochtergesellschaft, beim Einzug in eine Gemeindewohnung begleitet. Mit ihren unzähligen Fragen konnte sie sich an Christian R., Peer-Mitarbeiter bei neunerimmo wenden. Sonja R. ist Peer-Mitarbeiterin im Chancenhaus Favorita von Obdach Wien. Sie und ihre Kollegin Celine P., Sozialarbeiterin, berichteten, wie sie sich in ihrem Arbeitsalltag gegenseitig unterstützen, entlasten und ergänzen.
Ein Tag, der der Peer-Arbeit in der Wohnungslosenhilfe gewidmet war und auch jene in den Mittelpunkt stellte, die die Wohnungslosenhilfe zu einem besseren Ort machen: Die Peer-Mitarbeiter*innen selbst. Kein Wunder, dass die Peers in den Pausen gefragte Interviewpartner*innen für Medienvertreter*innen waren und schon mal von der Bühne weg ein Jobangebot erhielten. Wir freuen uns schon auf die exPEERience 2026.
Die exPEERience 2024 fand in Kooperation mit dem Fonds Soziales Wien statt.