Raquel B. weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, keinen festen Wohnsitz zu haben. Bevor sie die siebenmonatige Ausbildung zur Peer-Mitarbeiterin in Angriff genommen hat, hat sie sich gefragt, wie diese Erfahrung überhaupt eine Kompetenz sein kann. Im März 2024 hat die gebürtige Peruanerin den Zertifikatskurs abgeschlossen, bereits eine fixe Jobzusage und kann die Frage für sich beantworten. neunerhaus hat zugehört.
„Ich habe mir viel Zeit genommen, um darüber nachzudenken, ob ich die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiterin der Wohnungslosenhilfe machen soll. Ich hatte schon viel über die Ausbildung gehört, auch, dass sie herausfordernd sei. Vor allem, weil wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen werden – und dann auch noch in einer Gruppe mit bis zu 20 Personen. Bei meinem ersten Versuch habe ich den Bewerbungsprozess nicht fertig gemacht. Als ich mich erneut beworben habe, war ich stabil genug, um meinen eigenen Weg zu finden. Und schließlich war ich sehr neugierig und habe mich gefragt, wie eine schlechte Erfahrung ein Vorteil sein kann.
Was bedeutet es, ein Peer zu sein?
Für mich war es zunächst schwierig zu beschreiben, was es bedeutet, ein Peer zu sein. In unserer Lerngruppe haben wir uns aber intensiv damit auseinandergesetzt und das Bild wurde für mich immer klarer: Es bedeutet, dass du mit deiner Erfahrung arbeitest. Deine Erfahrung ist dein Werkzeug, um andere zu motivieren, zu begleiten und für die Menschen da zu sein, die deine Hilfe brauchen.
Ich will für Menschen in der Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit da sein. Ich habe das selber erlebt, ich habe sehr starke Empathie erfahren. Die Sozialarbeit in diesem Bereich ist wichtig, aber ebenso die Peer-Arbeit. Gerade auch um zu sehen, wo steht dieser Mensch gerade, was braucht er? Vielleicht braucht diese Person nicht irgendein Dokument oder eine AMS-Anmeldung, aber vielleicht einen Peer. Peers sind da, um dort hinzuschauen, wo das meiste oft unsichtbar bleibt. Und das sind Gefühle der Menschen.
Mein Praktikum habe ich in einer Einrichtung für geflüchtete Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund gemacht. Also habe ich da ganz gut hineingepasst (lacht). Ich habe so viel gelernt und konnte mir ein realistisches Bild des Arbeitsalltags machen. Im Kurs lernen wir in sieben Modulen unterschiedliche Themengebiete kennen und im verpflichtenden Praktikum können wir diese dann anwenden. Im Praktikum lernst du wirklich, was es bedeutet, Peer zu sein und kannst all dein Wissen nutzen. Das war extrem spannend!“
Am neunerhaus Peer Campus werden ehemals obdach- und/oder wohnungslose Menschen zu Peer-Mitarbeiter*innen der Wohnungslosenhilfe ausgebildet. Im Zertifikatskurs lernen Peers, ihr Erfahrungswissen im Rahmen der Peer-Arbeit nutzbar zu machen, um andere Betroffene zu unterstützen. Nach dem Kursabschluss arbeiten Peers gemeinsam mit unterschiedlichen Berufsgruppen – wie Sozialarbeiter*innen, Betreuer*innen oder Ärzt*innen – in interdisziplinären Teams.