In Wien kam es in den letzten Wochen immer wieder zu gewalttätigen Angriffen auf obdachlose Menschen – zwei Personen sind an den Folgen gestorben. Für Menschen, die auf der Straße leben, sind Gewalt, Angst und Stigmatisierung Alltag.
Das Leben auf der Straße ist eine Realität, die von vielen nur am Rande wahrgenommen wird. Doch hinter den Kulissen verbirgt sich eine stressige und extrem gesundheitsgefährdende Existenz, die oftmals von Angst geprägt ist. „Wir alle wissen, wie es ist, wenn man sich nicht sicher fühlt. Meist sind das Situationen oder Orte, von denen wir uns dann so schnell wie möglich wieder entfernen – in ein geborgenes Umfeld, am besten Fall in die eigenen vier Wände“, sagt neunerhaus Geschäftsführerin und BAWO-Obfrau Elisabeth Hammer. „Für obdachlose Menschen ist diese Unsicherheit jedoch mehr als ein punktuelles Gefühl: Ihr Leben ist immer gefährlich und existenzbedrohend, das ist nicht neu. Die Sicherheit obdachloser Menschen ist explizit gefährdet – und das für manche 24 Stunden und sieben Tage die Woche.“
Sendung anhören: Elisabeth Hammer zu Gast auf Ö1, Punkt Eins vom 17.8.2023: „Sicherheit für wohnungslose Menschen“.
So ist das Leben obdach- und wohnungsloser Menschen nicht nur aufgrund potenzieller Gewalterfahrungen gefährdet, sondern gleichzeitig von psychischer Anspannung geprägt. „Dieser Stress entsteht aus sozialen Interaktionen. Begegnungen mit Passant*innen können manchmal hilfreich und respektvoll sein, oft hören wir aber Berichte von Abwertung, Stigmatisierung und verbalen Drohungen. Auch das ist Alltag für obdach- und wohnungslose Menschen.“
Als Reaktion auf die aktuellen Vorfälle begrüßt Elisabeth Hammer die bereits gesetzten Sofortmaßnahmen in Wien, pocht aber auf Lösungen auf mehreren Ebenen: „Natürlich ist es notwendig und sinnvoll, kurzfristig jeder Person, die im öffentlichen Raum nächtigt, einen Schlafplatz anzubieten. Unser Ziel muss aber sein, langfristige und strukturelle Lösungen wie ‚Housing First‘ weiter voranzutreiben, um Wohnungslosigkeit dauerhaft zu beenden. Der Schlüssel dazu ist ein Wohnungsmarkt, der inklusiv ist und für all jene leistbare Wohnungen anbietet, die sie brauchen.“
„Obdachlosigkeit ist keine Straftat.“
Die Attacken auf obdachlose Menschen seien zudem ein Anlass, sich mit der gesellschaftlichen Debatte über öffentlichen Raum und Obdachlosigkeit auseinanderzusetzen: „Der Diskurs ist stark von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit geprägt. Menschen und Gruppen, die einer vermeintlichen Normalität nicht entsprechen, werden als gefährlich geframt. Das Perfide daran ist: Gerade jene Menschen, die Schutz bedürfen und Gefährdungen aller Art ausgesetzt sind, werden vermeintlich zu jenen, vor denen wir uns schützen müssen, weil unser Sicherheitsgefühl bedroht ist. Obdachlosigkeit ist aber keine Straftat und keine Ordnungswidrigkeit – der öffentliche Raum gehört allen, nicht nur den Finanzkräftigen.“
Deshalb brauche es Investitionen in sozialen Zusammenhalt und soziale Sicherheit sowie eine Anerkennung unterschiedlicher Lebenssituationen. „Bei neunerhaus setzen wir uns stark dafür ein, die vielfältigen Geschichten, Biografien und strukturellen Barrieren betroffener Personen sichtbar zu machen. So möchten wir dazu beitragen, dass Stereotype abgebaut werden und das gesellschaftliche Bild von Obdach- und Wohnungslosigkeit ausdifferenziert wird.“