Ein Fachbeitrag von Paula Reid und Anja Christanell über Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Österreich, die keine Krankenversicherung haben
In Österreich leben zehntausende Menschen, die nicht krankenversichert sind. Dafür gibt es verschiedene strukturelle und persönliche Gründe, darunter auch ein prekärer Aufenthaltsstatus. Ein fehlender Krankenversicherungsschutz hat nicht nur Folgen für die Betroffenen, denen der Zugang zur Gesundheitsversorgung – mit Ausnahme der niederschwelligsten Angebote oder in Notfallsituationen – verwehrt wird, sondern auch für das Gesundheitssystem insgesamt. Menschen, die nur schwer Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, warten sehr lange, bevor sie qualifizierte medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Dieses Zuwarten zieht oft kostenintensive Interventionen – z.B. Rettungstransporte und Inanspruchnahmen von Spitalsambulanzen – nach sich, die vermieden werden könnten, wenn Hürden beim Zugang zur Gesundheitsversorgung beseitigt werden.
Nichtversicherte Nutzer*innen von neunerhaus
Eine junge Frau litt jahrelang unter einer rheumatischen Erkrankung. Aufgrund einer langjährigen Nichtbehandlung waren ihre beiden Hüften stark beeinträchtigt, sodass sie sich nur unter größten Schmerzen fortbewegen konnte. Die Frau hat in Wien auf der Straße geschlafen und ließ sich zunächst aufgrund mehrerer Traumatisierungen in ihrem Heimatland nicht weitervermitteln. Durch die Vermittlung von Sozialarbeiter*innen des neunerhaus Gesundheitszentrums gelang eine Unterbringung in einer Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe, die auch für Personen ohne weiterführende Ansprüche im Bereich Mindestsicherung oder Wohnungslosenhilfe offensteht. Erst durch die Wohnversorgung wurde eine präoperative Abklärung sowie eine anschließende physiotherapeutische Behandlung über mehrere Wochen möglich. Die Frau wurde operiert und hat nun erstmals die Perspektive auf Genesung und ein selbstbestimmtes Leben.
Eine schwangere Frau mittleren Alters, obdachlos und nicht versichert, wurde von den dock-Gynäkologinnen untersucht. Monate später erschien sie ohne Termin in einem sehr schlechten psychischen Zustand und erzählte, dass sie vor wenigen Tagen im Krankenhaus entbunden habe und ihr das Kind vor Ort von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA11) weggenommen worden sei. Sie war verzweifelt, kannte die Gründe für die Kindesabnahme nicht und wurde seit der Entbindung nicht medizinisch versorgt. Die Sozialarbeit führte mit ihr per Videodolmetsch ein erstes Entlastungsgespräch. Anschließend wurde sie gynäkologisch untersucht und von einer Physiotherapeutin behandelt. In einem abschließenden Gespräch mit der Sozialarbeit wurde gemeinsam mit der Frau ein Plan für weitere Schritte entwickelt.
Gesundheit ist ein Menschenrecht
Jeder Mensch hat gemäß EU Grundrechtecharta (Art.35) und UN Sozialpakt (Art. 12) ein Recht auf Gesundheitsversorgung. Bei neunerhaus haben wir eine Reihe unterschiedlicher Gesundheitsangebote entwickelt, um sicherzustellen, dass Menschen ohne Krankenversicherung in Wien Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung haben. Diese Angebote umfassen allgemeinmedizinische, zahnmedizinische und fachärztliche Versorgung. Es gibt auch Angebote, die darauf abzielen, bestimmte Versorgungslücken zu schließen. Einen erhöhten Bedarf hat unsere Zielgruppe in den Bereichen Pflege, psychische Gesundheit und beim Zugang zur Behandlung von Alkoholsucht.
Der Originalbeitrag ist in der Publikation Lokale Antworten auf aufenthaltsrechtliche Prekarität: Zugänge zu Gesundheitsversorgung, Unterbringung und Bildung erschienen.