„In neue Welten schauen“

ORF-Redakteur und Moderator Christoph Feurstein im Gespräch mit neunerhaus Geschäftsführerin Daniela Unterholzner

Daniela Unterholzner: Welche beruflichen Begegnungen möchten Sie nicht missen?

Christoph Feurstein: Es beeindruckt mich sehr, in Welten zu schauen, mit denen man selbst im Alltagsleben nicht allzu viel zu tun hat. Daher schätze ich jede Begegnung, die den Horizont erweitert oder einfach zeigt, welche Facetten das Leben hat. Begegnungen mit Menschen, die so viel durchgemacht haben und trotzdem so einen Willen haben, das zu bewältigen.

Unterholzner: Finden Sie, dass das Thema „Wohnen“ gesellschaftlich in letzter Zeit einen anderen Stellenwert bekommen hat?

Feurstein: Sehr viele Menschen spüren gerade, wie teuer die Mieten geworden sind. Und wie sie selbst plötzlich an der Kippe stehen, sich das alles selbst nicht mehr leisten zu können. Insofern ist das, glaub ich, jetzt schon mehr Thema.

© Alexander Chitsazan
Unterholzner: Sie sind jemand, der nach Lösungen sucht. Was treibt Sie an?

Feurstein: Ich glaube, es muss selbstverständlich sein, dass wir die Zuseher*innen nicht in der Ausweglosigkeit hinterlassen, sondern zeigen, dass man Krisen bewältigen kann. Und vor allem – ganz wichtig – dass es Unterstützung gibt. Dass man nicht immer allein ist, auch wenn man sich in gewissen Phasen im Leben verdammt allein fühlt.

Unterholzner: Laut Statistik Austria hat jede*r siebte Österreicher*in schon einmal eine Phase der Wohnungslosigkeit hinter sich.

Feurstein: In meiner aktuellen Reportage begleite ich zwei Menschen, der auch Phasen der Obdachlosigkeit hinter sich haben. Als ich einen von ihnen gefragt habe, wie er sich selbst beschreiben würde, hat er geantwortet, er sei „ein Mensch, mit dem man nicht gerne Zeit verbringen möchte – ein Ungustl“. Ich vermute, dass sehr viele Menschen, mit denen ihr zu tun habt, so ein Selbstbild haben. Sie werden gemieden von der Gesellschaft und haben dann einfach selber das Gefühl: Ich bin nichts wert und kein liebenswerter Mensch. Im Grunde habe ich auch keine Zuneigung und Liebe verdient. Aber die meisten haben selber wohl gar nie gelernt, was Liebe und Zuneigung bedeuten.

Unterholzner: Wie schaffen Sie es, sich persönlich abzugrenzen?

Feurstein: Solche Dinge nimmt man schon mit. Die beschäftigen einen schon. Und wenn man selbst nicht ganz stabil ist, dann nimmt einem das teilweise ziemlich die Luft. Andererseits hab‘ ich immer einen gewissen Schutz – einen Schutz der Linse, der Bearbeitung, des Schnitts. Ich habe meine Aufgabe, die mich schützt. Meine Profession sorgt dafür, dass ich nicht hängen bleibe im Leid der Menschen.

© Alexander Chitsazan
Unterholzner: Welche Themen würde Sie in Zukunft noch reizen?

Feurstein: Was mich noch zum Thema erfahrener Lieblosigkeit fasziniert, ist der Umgang mit Sexualität. Vererbte Traumata, die von Generation zu Generation überliefert werden, finde ich auch sehr spannend. Und wie Familiengeschichten sich übertragen auf Kinder und Kindeskinder.

Unterholzner: Was wünschen Sie neunerhaus?

Feurstein: Ich wünsche neunerhaus, dass es gelingt das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit gut zu setzen, indem z.B. verschiedenen Formen davon aufgezeigt werden, oder wie viele Menschen das betrifft. Ich wünsche uns als Gesellschaft, dass wir wegkommen von diesen Klischees, mit denen man sich Obdachlosigkeit vorstellt und an denen man im Grunde hängenbleibt.

Unterholzner: Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Journalist, Moderator und Buchautor Christoph Feurstein (geb. 1972) arbeitet seit fast 30 Jahren beim ORF und zeichnete sowohl als Moderator als auch Regisseur neben neuen Jugend-Formaten für zahlreiche mitunter aufsehenerregende Reportagen verantwortlich. Seit 2001 moderiert und gestaltet er jeden Montag die Sendung „Thema“, das gesellschaftspolitische Magazin des ORF. Christoph Feurstein ist Preisträger zahlreicher Auszeichnungen für seine journalistische Arbeit.

Dieser Beitrag erschien erstmals in den neuner News #50.