Ein Teil der Stadt? Junge wohnungslose Menschen in Wien

Wie geht es jungen wohnungslosen Menschen in Wien? Der Situationsbericht des Verbands Wiener Wohnungslosenhilfe beantwortet unter dem Titel Ein Teil der Stadt? diese Frage. Als eine von elf Trägerorganisationen hat neunerhaus am Bericht mitgearbeitet, seine Erfahrung und Expertise eingebracht und junge Wohnungslose zu Wort kommen lassen.

Warum junge Menschen wohnungs- oder obdachlos werden

Wohnen ist ein Menschenrecht. Doch gerade für viele junge Erwachsene ist eine eigene Wohnung oder ein eigenes WG-Zimmer mittlerweile eine Utopie. In Österreich sind rund 20.000 Menschen obdach- oder wohnungslos, zwei Drittel leben in der Bundeshauptstadt Wien. Und davon sind 30% jünger als 30 Jahre. Jährlich nächtigen über 1.200 junge Erwachsene in Wiens Notquartieren, Wien zählt über 4.000 junge Wohnungslose. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Eine von ihnen war Leah S. Die heute 26-Jährige ist mit 12 Jahren das erste Mal von zuhause weggelaufen. Mit 16 Jahren lebt sie eine Zeitlang auf der Donauinsel.

junge Frau mit lehnt an einer mit Graffiti besprühten Wand
Foto: Christoph Liebentritt

Strukturelle Ursachen von Obdach- und Wohnungslosigkeit

Warum junge Erwachsene obdach- oder wohnungslos werden, hat vor allem strukturelle Ursachen. Sie kommen meist aus einer armutsbetroffenen Familie und treffen auf einen überteuerten Wohnungsmarkt. In Österreich ist die soziale Mobilität gering – Einkommen, Bildungsstand und sozialer Status der Eltern beeinflussen wesentlich die Zukunftschancen und -perspektiven ihrer Kinder. Sind die Eltern von Armut oder Wohnungslosigkeit betroffen „vererben“ sie das an ihre Kinder. Wenn das soziale und familiäre Netzwerk fehlt oder zerrüttet ist, können oder wollen sie nicht auf die Unterstützung der Familie zurückgreifen. Die finanzielle Hilfe beim Anmieten der ersten Wohnung oder für die Ausstattung des ersten WG-Zimmers fällt weg, ebenso wie das sichere Wissen: Wenn alle Stricke reißen, kann ich nach Hause zurück. Fehlender Zugang zu altersgerechten Angeboten, zu Arbeit und Ausbildung verschärfen die Situation für junge Erwachsene.
Von einem Tag auf den anderen auf sich allein gestellt sind Care Leaver. Sie haben einen Teil oder ihre komplette Kindheit in betreuten Wohnungseinrichtungen verbracht. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit verlieren Care Leaver ihre Ansprüche auf Kinder- und Jugendhilfe und damit ihre betreuten Wohnplätze.

Flexible Betreuungs- und Unterstützungsangebote

Junge Erwachsene sind eine besonders vulnerable Gruppe – einerseits, weil sie wegen ihrer speziellen Lebenslagen schnell in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit rutschen können, andererseits, weil der Weg zurück in ein stabiles Leben steinig ist. Zwar ist die Wohnungslosenhilfe in Wien gut ausgebaut und verfügt über ein breit gefächertes Angebot. Für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen braucht es jedoch spezifische und zielgruppengerechte Angebote. Geraten beispielsweise Mädchen, Frauen oder queere Menschen in die Obdach- oder Wohnungslosigkeit, sind sie auf der Straße häufig sexuellen Belästigungen und Gewalt ausgesetzt. Viele meiden Notschlafstellen, weil sie sich auch dort nicht sicher fühlen und mit Übergriffen rechnen müssen. Für sie braucht es Schutzräume und eigene Wohnbereiche, die ihre Privat- und Intimsphäre wahren. Die Angebote müssen einfach und unkompliziert zugänglich und flexibel genug sein, damit sie der Lebensrealität von jungen Erwachsenen entsprechen. Starre Betreuungsrahmen führen häufig dazu, dass vereinbarte Regeln nicht eingehalten werden können. Junge Erwachsenen sollen jederzeit wieder andocken können und die Chance haben, immer wieder von vorne anzufangen.

Leistbarer Wohnraum

Schließlich brauchen junge Menschen Zugang zu leistbaren Wohnungen. Wenn junge Menschen gerade erst in das Berufsleben starten oder noch in Ausbildung sind, können sie die Miete, Kaution oder Provision oftmals nicht bezahlen. Gleiches gilt für den sogenannten ‚leistbaren‘ Wohnraum, der insgesamt knapper wird. Der Wohnungsmarkt vergisst auf junge Erwachsene. „Ein profitorientierter Wohnungsmarkt darf das Menschenrecht auf Wohnen nicht untergraben,“ so Elisabeth Hammer, neunerhaus Geschäftsführerin. Sie sieht die Wohnpolitik gefordert, um Wohnungslosigkeit zu verhindern und zu beenden.

Ein profitorientierter Wohnungsmarkt darf das Menschenrecht auf Wohnen nicht untergraben

Elisabeth Hammer, neunerhaus Geschäftsführerin

Leah S. lebt eine Zeitlang auf der Donauinsel, bis sie gemeinsam mit einer Freundin aus Kindheitstagen eine Beratungsstelle für obdachlose Menschen aufsucht. Sie erhält einen Platz in einem Wohnhaus für junge Erwachsene. Als neunerhaus mit ihr gesprochen hat, bereitete sie gerade den Umzug in ihre erste Wohnung vor. In Zukunft wird sie als Peer in der Wiener Wohnungslosenhilfe arbeiten. Sie ist (wieder) Teil der Stadt.


Wer gilt als junge Erwachsene?

Als junge Erwachsene gelten alle Menschen, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben. In Bezug auf die Altersgrenze nach oben gibt es unterschiedliche Definitionen. So kann in der Rechtssprechung bis zum 21. Lebensjahr das Jugendstrafrecht angewendet werden. Im Kontext des Sozialhilfebezugs gelten Menschen bis zum 25. Lebensjahr als junge Erwachsene. Andere Modelle sprechen von jungen Erwachsenen bis zu einem Alter von 30 Jahren.

Das neunerhaus Billrothstraße ist ein Haus für Menschen zwischen 18-30 Jahren, die obdachlos sind und einfach und unbürokratisch Hilfe benötigen. Für manche stellt das neunerhaus Billrothstraße eine dringend benötigte Unterkunft für ein paar Nächte in einer akuten Krise dar. Für andere ist das Haus ein Ort, den sie vorübergehend ihr Zuhause nennen.