Oksana U. ist 28 Jahre alt. Sie kennt Obdachlosigkeit, Flucht, Gewalterfahrung. In ihren dunkelsten Zeiten hätte sie sich gewünscht, dass ihr jemand, mit den gleichen Erfahrungen wie sie, gesagt hätte: „Es gibt ein Ende!“ In Zukunft wird sie als Peer-Mitarbeiterin der Wohnungslosenhilfe diese Aufgabe übernehmen. Ein Gespräch.
Du hast im März 2024 den Zertifikatskurs am neunerhaus Peer Campus erfolgreich abgeschlossen. Wie geht es dir damit?
Ich muss weinen, es löst ein Glücksgefühl in mir aus. Zum ersten Mal in meinem Leben haben Menschen an mich geglaubt. Zum Beispiel Johanna G. (Anm.: Kursleitung neunerhaus Peer-Campus). Dass jemand etwas sieht, dass man selbst vielleicht nicht sieht und dich dann so motiviert. Ich kannte das bisher nicht.
Warum hast du dich entschieden, die Ausbildung zur Peer-Mitarbeiterin zu machen?
Ich habe mich entschieden, den Peer-Kurs zu machen, weil ich in meinem Leben schon so viel erlebt habe. Obdachlosigkeit, Gewalt, Flucht. Ich glaube, dass ich Menschen das Gefühl geben kann, weiterzumachen und nicht aufzugeben, wenn sie in einer ähnlichen Lage sind. Am Ende des Tunnels ist immer ein Licht. Das Gefühl will ich weitergeben. Die Dunkelheit bleibt nicht für immer. Wie oft ich in meinem Leben gedacht habe, jetzt ist es vorbei. Aber ich bin hier.
Ich wünschte, zu mir wäre damals auch jemand gekommen, der etwas Ähnliches gefühlt und erlebt hat und mir Hoffnung gibt, dass das ein Ende hat.
Oksana U. erzählt, warum ihr Peer-Arbeit am Herzen liegt.
In welcher Einrichtung der Wohnungslosenhilfe möchtest du zukünftig arbeiten?
Ich möchte in einer Einrichtung für Frauen und Kinder arbeiten. Ich liebe Kinder, und ich will Müttern helfen. Mütter, die ihre Kinder verloren haben oder die von ihren Kindern getrennt leben müssen und darunter leiden.
Wie bist du auf den Peer-Kurs gekommen?
Ich habe in einem Chancenhaus gewohnt, dort habe ich vom Peer-Kurs erfahren. Mir wurde vorgeschlagen, mich zu bewerben, weil ich so toll mit den Bewohner*innen umgegangen bin, viel gestaltet und viel kommuniziert habe.
Was hat dich in den sieben Monaten Ausbildung am meisten überrascht?
Ich habe gelernt, dass ich meine Vergangenheit, die mich eigentlich so gequält hat, für Positives nutzen kann. Meine Vergangenheit macht für mich jetzt Sinn, weil sie mein Leben im Jetzt anders gestaltet.
Peer-Kurs in einem Wort?
Hoffnung. Die Ausbildung ist so ein großes Geschenk. Menschen leiden, gehen durch die Hölle und dann gibt es ein Angebot, bei dem man mit seinem Schmerz und seiner Erfahrung anderen helfen kann. Das heilt ja auch ein Stück, wenn man helfen kann. Menschen, die viel erlebt haben oder durch viel gegangen sind, verdienen kein Mitleid, sondern Respekt.
Am neunerhaus Peer Campus werden ehemals obdach- und/oder wohnungslose Menschen zu Peer-Mitarbeiter*innen der Wohnungslosenhilfe ausgebildet. Im Zertifikatskurs lernen Peers, ihr Erfahrungswissen im Rahmen der Peer-Arbeit nutzbar zu machen, um andere Betroffene zu unterstützen. Nach dem Kursabschluss arbeiten Peers gemeinsam mit anderen Berufsgruppen – wie Sozialarbeiter*innen, Betreuer*innen oder Ärzt*innen – in interdisziplinären Teams.