Menschen, die zum ersten Mal ins neunerhaus Gesundheitszentrum kommen, haben oft jahrelang keine Ordination mehr betreten. Sie sind von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffen oder nicht versichert. Ihre Wunden und Krankheiten blieben lange Zeit unbehandelt und haben sich vielleicht schon chronifiziert. Die Gesundheit von obdach- und wohnungslosen und nichtversicherten Menschen ist nicht nur stärker gefährdet als jene der Durchschnittsbevölkerung, ihre Behandlung braucht neben fachlicher Expertise auch Feingefühl und Verständnis für ihre Lebensrealität. Wie das neunerhaus Gesundheitszentrum dieser Anforderung gerecht wird, klärt dieser Beitrag.
Für wen ist das neunerhaus Gesundheitszentrum da?
Für Menschen im Krankheitsfall, die obdach- und wohnungslos oder nichtversichert sind.
Warum sind Menschen, die von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen sind, eher krank?
Obdach- und Wohnungslosigkeit gehören zu den härtesten Formen von Armut. Für Betroffene ist es ein Ausnahmezustand, der psychisch und körperlich belastend ist. Hinzu kommen prekäre Wohn- und Lebensverhältnisse, die krank machen können oder eine Heilung erschweren, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, Stigmatisierung, finanzielle Unsicherheit und Gewalterfahrungen.
Können obdach- und wohnungslose Menschen nicht einfach zum Hausarzt, zur Hausärztin gehen?
Auch für wohnungslose und obdachlose Menschen mit Krankenversicherung gibt es viele Gründe, warum sie nicht im Gesundheits- und Sozialsystem andocken können. Das Gesundheitswesen ist oft nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet. Unser Gesundheitssystem ist sehr komplex, sich darin zu orientieren nicht immer leicht. Hinzu kommen Sprachbarrieren, Stigmatisierung und negative Erfahrungen in der Vergangenheit, die dazu führen, dass obdach- und wohnungslose Menschen im Krankheitsfall nicht zum*zur Ärzt*in gehen oder nicht jene Behandlung erhalten, die sie benötigen würden. Menschen, die nicht krankenversichert sind, sind von vornherein vom Gesundheitssystem ausgeschlossen. Hier erklären wir, warum jemand nicht versichert ist.
Wie hilft das neunerhaus Gesundheitszentrum?
Das Ziel ist die umfassende Gesundheitsversorgung der Patient*innen. Das heißt, wir reagieren im akuten Krankheitsfall, gleichzeitig soll die Gesundheit der Patient*innen langfristig verbessert werden. Im neunerhaus Gesundheitszentrum sind eine Arztpraxis, eine Zahnarztpraxis und die Praxis Psychische Gesundheit angesiedelt. Das interdisziplinäre Team setzt sich zusammen aus Sozialarbeiter*innen, Peer-Mitarbeiter*innen, Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen, Ordinationsassistent*innen und medizinischem Fachpersonal. Zusätzlich sind die neunerhaus Mobilen Ärzt*innen in ganz Wien im Einsatz.
Was macht das neunerhaus Gesundheitszentrum anders?
Für viele Patient*innen ist das neunerhaus Gesundheitszentrum der erste medizinische Kontakt nach Jahren der Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit bzw. ohne Krankenversicherungsschutz. Am Beginn der Behandlung steht ein wertschätzendes Gespräch, um Misstrauen, Angst und Schamgefühle abzubauen und eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Welche Probleme und Krankheiten haben die Menschen in Bezug auf Pflege, die in das neunerhaus Gesundheitszentrums kommen?
Obdach- und wohnungslose Menschen leiden aufgrund ihrer Lebensumstände häufig an chronischen Wunden, die meist ein Symptom komplexer Erkrankungen sind. Im neunerhaus Gesundheitszentrum ist das Team der Pflege für die Versorgung chronischer Wunden zuständig. Die Mitarbeiter*innen verfügen über eine zertifizierte Ausbildung im Bereich Wundmanagement. Neben der Wundversorgung helfen sie Menschen mit chronischen Erkrankungen und Schmerzen und beraten bei Fragen zu Inkontinenz, Ernährung, Körperpflege, Haut- und Wundpflege sowie korrekter Medikamenteneinnahme.
Was bedeutet niederschwellige Arbeit im neunerhaus Gesundheitszentrum?
Patient*innen sollen so wenig Hürden wie möglich vorfinden. Das beinhaltet die barrierefreie Gestaltung der Räumlichkeiten, die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, die Möglichkeit auf Videodolmetsch zurückzugreifen, aber auch, dass Patient*innen ohne Termin in das neunerhaus Gesundheitszentrum kommen können. Das ermöglicht dem Team vor Ort auch eine gewisse Flexibilität, was die Dauer der Behandlungen betrifft. So können sie sich für jede*n Patient*in so viel Zeit nehmen, wie notwendig ist.
Das neunerhaus Gesundheitszentrum arbeitet personenzentriert. Was heißt das?
Der Mensch wird in seiner Individualität und Persönlichkeit wahrgenommen und nicht auf seine Erkrankung, seine Defizite oder seine Rolle als „Patient*in“ reduziert. Mitarbeiter*innen im neunerhaus Gesundheitszentrum legen einen starken Fokus auf den Aufbau und die Pflege der Beziehung und begegnen ihnen auf Augenhöhe. Das gelingt, indem Patient*innen als die Expert*innen für ihre individuelle Lebenssituation geschätzt und ernst genommen werden und sie bei der Entscheidung und Priorisierung der nächsten Schritte eingebunden werden.
Pflege ist mehr als die Versorgung von Wunden. Wie wirkt die Pflege nachhaltig?
Durch den Aufbau von Beziehungen gelingt eine medizinische Behandlung, die über die Akutversorgung hinausgeht. Wir schaffen Zugänge zum Gesundheits- und Sozialsystem, beraten und fördern Beziehungsaufbau. Die Gesundheit und das Leben der Patient*innen können sich dadurch langfristig verbessern.