»Eine Krise ist kein Dauerzustand«
Elisabeth Hammer darüber, wie Obdachlosigkeit eine Phase im Leben bleibt.
"Die gesellschaftliche Stimmung derzeit ist vielfach gedrückt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, einzelne davon merken wir nahezu täglich: Die Energiepreise steigen noch schneller als die Wohnkosten und die Inflation führt dazu, dass wir im Supermarkt manchmal gar nicht glauben können, welche Zahlen uns vom Preisschild entgegenblicken. Mehr denn je spüren wir als Gesellschaft gerade, dass Schwierigkeiten oder Probleme jede*n Einzelne*n von uns treffen können.
Durch die Teuerungen geraten immer mehr Menschen in eine Situation, in der sie sich eine persönliche Krise nicht mehr leisten können. Ihnen fehlt das Sicherheitsnetz, das auffängt: Erspartes wird nach und nach aufgebraucht und Verwandte und Freund*innen können nicht mehr aushelfen, weil es auch sie trifft. So führt ein Todesfall, eine Trennung, ein plötzlicher Jobverlust oder eine psychische oder körperliche Erkrankung für mehr und mehr Menschen schnell zu einer akuten Krisensituation und, im schlimmsten Fall, zum Wohnungsverlust. Obdach- und Wohnungslosigkeit trifft nicht mehr nur armutsbetroffene Menschen, sondern auch jene, die das nie erwartet hätten.
Trotz all dieser schwierigen Bedingungen haben wir bei neunerhaus durch jahrelange Erfahrung die Gewissheit: Wohnungslosigkeit ist kein Dauerzustand, sondern eine Phase im Leben – und damit bewältigbar. Auf individueller Ebene braucht es dafür Menschen, die Betroffene ernst nehmen, persönliche Geschichten, Sorgen und Ängste berücksichtigen und nach Bedarf und auf Augenhöhe Unterstützung anbieten.
Gesamtgesellschaftlich betrachtet braucht es starke sozialpolitische Netze, die Menschen in akuten Krisensituationen auffangen und Risiken weg vom Individuum und hin zur Gemeinschaft verteilen – damit niemand alleine dasteht. Leistbare Mieten, Einkommen, von denen man leben kann und Zugang zum Wohnungsmarkt sind darüber hinaus Voraussetzungen dafür, dass Menschen Krisenzeiten gut überstehen und diese schnell wieder hinter sich lassen können. Wenn wir uns nicht von aufkommenden Ängsten vereinnahmen lassen, können wir mit Mut und Kraft für sozialen Zusammenhalt auch die gesellschaftliche Stimmung drehen – und eine gemeinsame Grundlage schaffen, auf die wir uns alle langfristig verlassen können."
- Dieser Beitrag erschien erstmals im Magazin neuner News, Ausgabe 48.
- Foto © Christoph Liebentritt