Hilfe auf Augenhöhe: Peer-Arbeit bei neunerhaus

Im siebenmonatigen Zertifikatskurs am neunerhaus Peer Campus wird aus den Erfahrungen (ehemals) obdach- und wohnungsloser Menschen vielschichtige Expertise. Absolvent*innen sind nach ihrem Abschluss qualifizierte Peer-Mitarbeiter*innen der Wiener Wohnungslosenhilfe.

Wie kann die Partizipation von obdach- und wohnungslosen Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gelebt und gefördert werden? Mit dieser Frage setzt sich neunerhaus seit nunmehr 25 Jahren intensiv auseinander. 2017 wurde der neunerhaus Peer Campus gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien ins Leben gerufen. Ziel war die Etablierung einer neuen Berufsgruppe: Ehemals obdach- oder wohnungslose Menschen sollten in der Wohnungslosenhilfe als Peer-Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen tätig werden. Peer-Mitarbeiter*in zu werden heißt, mit eigenem Erfahrungswissen zu arbeiten und Unterstützung für andere zu bieten. Bis Ende 2023 haben 83 Teilnehmer*innen die Ausbildung absolviert. Und es hat sich gezeigt: Peer-Arbeit wirkt. Auf persönlicher sowie auf gesellschaftlicher Ebene. Das Erfahrungs- wissen der Peer-Mitarbeiter*innen fördert die Wirksamkeit der Wohnungslosenhilfe und verändert die interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Gekommen, um zu bleiben

„Erfahrung ist das Werkzeug, um andere Menschen zu motivieren, zu begleiten und für Menschen da zu sein, die Hilfe brauchen. Das bedeutet Peer zu sein für mich.“ Raquel
B. absolvierte den Zertifikatskurs Peers der Wohnungslosenhilfe 2023/24 am neunerhaus Peer Campus. Mittlerweile sind 54 Peer-Mitarbeiter*innen in acht Trägerorganisationen der Wiener Wohnungslosenhilfe angestellt, 13 allein bei neunerhaus. Nahmen an der Ausbildung zur Peer-Arbeit in den ersten Jahren noch überwiegend Männer Teil, absolvieren immer mehr Frauen den Zertifikatskurs. Um Peer-Arbeit in der Wiener Wohnungslosenhilfe zu verankern, weiterzuentwickeln und zu professionalisieren, arbeitet neunerhaus eng mit dem Fonds Soziales Wien, Peer-Mitarbeiter*innen und anderen Organisationen zusammen. neunerhaus bündelt und teilt Expertise und Wissen, beispielsweise in der 2023 veröffentlichten Publikation „Peer we are!“, die unter Mitwirkung von Wegbegleiter*innen, Peer-Mitarbeiter*innen und Expert*innen im Rahmen der Zertifikatsverleihung vorgestellt wurde.

Peers sind da, um dort hinzuschauen, wo das meiste oft unsichtbar bleibt. Und das sind Gefühle der Menschen.

Raquel B. absolvierte die Peer-Ausbildung am neunerhaus Peer Campus.
Raqel B. ist Peer Campus-Absolventin © Christoph Liebentritt

In der Wohnungslosenhilfe arbeiten Peer-Mitarbeiter*innen im Team mit anderen Berufsgruppen zusammen – vor allem im Tandem mit Sozialarbeiter*innen. Die Sozialarbeit bringt Fachwissen ein und die Peer-Arbeit erweitert die Unterstützungsleistungen mit reflektiertem Erfahrungswissen. Die Vorteile der Arbeit im Tandem sind: vielfältige Blickwinkel, verschiedene Lösungswege, neue Herangehensweisen und Arbeitsentlastung. Innerhalb der Wiener Wohnungslosenhilfe bietet der neunerhaus Peer Campus seit 2023 als einzige Organisation Weiterbildungsangebote für Peer-Mitarbeiter*innen und ihre Kolleg*innen aus anderen Berufsgruppen. Das war sowohl für den neunerhaus Peer Campus als auch für die Peer-Arbeit im Feld ein wichtiger Professionalisierungsschritt.

„Aus eigener Erfahrung als Sozialarbeiterin kann ich sagen, dass die gemeinsame Arbeit einen Mehrwert für die Sozialeinrichtungen und die Nutzer*innen bringt. Wenn beide Tandempartner*innen als Expert*innen in ihrem jeweiligen Themenbereich wahrgenommen werden und aus dem interdisziplinären Wissen ein passendes Angebot für die Nutzer*innen geschaffen wird, ist die Arbeit gelungen.“ Johanna G., ausgebildete Sozialarbeiterin und Teil des interdisziplinären Teams, dem auch Peer-Mitarbeiter*innen angehören, leitet den Zertifikatskurs Peers der Wohnungslosenhilfe.

Multiplikator*innen in eigener Sache

Für obdach- und wohnungslose Menschen sind Peer-Mitarbeiter*innen oft der erste Kontakt zur Wohnungslosenhilfe. Durch die vergleichbaren Erfahrungswelten gelingt Vertrauens- und Beziehungsaufbau. Peer-Arbeit wirkt gesamtgesellschaftlich, weil sie Erfahrungen, die häufig zu Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen führen, als Stärken und Kompetenzen anerkennt. Gängige Vorurteile und Bilder von Wohnungslosigkeit werden durch Peer-Arbeit in Frage gestellt. Der Erfolg von Peer-Arbeit in der Wiener Wohnungslosenhilfe ist auch auf den kooperativen Ansatz des Projekts zurückzuführen. Die Zusammenarbeit mit dem Fonds Soziales Wien, dem Arbeitsmarktservice, den unterschiedlichen Sozialorganisationen und Multiplikatorinnen legte den Grundstein, während die Peer-Mitarbeiterinnen aktiv das Angebot mitgestalten.

2023 wurden bei neunerhaus über 2.800 Peer-Gespräche geführt. Mit der Anstellung eines Peer-Mitarbeiters bei neunerimmo arbeitet seit 2023 erstmals auch ein Peer im Bereich des sozialen Wohnungsmanagements.


Dieser Beitrag ist erstmals im neunerhaus 2023 Jahresbericht erschienen.

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