Auf die harte Tour

Josef P. hat sein Leben lang hart gearbeitet und ist trotzdem hart gefallen. Seit 2023 lebt er im neunerhaus Kudlichgasse. Hier hat er eine leistbare Wohnung und ein Zuhause gefunden.

Seine Stadtführungen beendet Josef P., neunerhaus Bewohner, immer im Wiener Stadtpark © Christoph Liebentritt

Der Pensionist Josef P. ist viel unterwegs. Und zwar beruflich. Als Tour­-Guide zeigt er Menschen bei Spaziergängen durch die Stadt Wien, was es heißt, obdachlos zu sein. In zwei Jahren hat der gebürtige Wiener knapp 700 Touren absolviert. Er ist es gewohnt, viel zu arbeiten. Er baute und renovierte Häuser, sortierte tonnenweise Altmetall, war auf Montage und als Matrose auf hoher See. Es war schwere körperliche Arbeit, die meist gering bezahlt war und wenig Sicherheit bot. Als 1982 seine Frau plötzlich verstirbt, reißt es ihm den Boden unter den Füßen weg. Im Alkohol versucht er Halt zu finden. Er wird zum ersten Mal obdachlos.

Drei Jahre lang lebte er damals auf der Straße. Die Situation sei mit der heutigen nicht vergleichbar: „Zu 100 sind wir im Notquartier am Boden gelegen. Die Leute reden, schreien in der Nacht.“ Er beschloss, im Ausland als Matrose anzuheuern. Nach zehn Jahren kam er zurück und machte einen Entzug. Bis zu seiner Pensio- nierung 2022 wird er wieder hart arbeiten. Wieder reicht das Geld nicht für eine eigene Wohnung.

Als Josef P. die Nachricht erhielt, er könne in das neunerhaus Kudlichgasse im 10. Wiener Gemeindebezirk ziehen, lebte er gerade in einem Übergangswohnheim für obdach- und wohnungslose Menschen. Zu wissen, dass er einen Ort hat, den er Zuhause nennen kann, darauf will er nicht mehr verzichten. Seine Wohnung ist sein Rückzugsort, hier hat er alles, was er braucht: „Eigener Wohnraum, eigenes Badezimmer, Mini-Küche, eigenes WC. Was brauche ich mehr? Horror, wenn die Wohnung groß ist – ich finde so schon nichts mehr!“ Unter dem Bart kräuselt sich ein spitzbübisches Lächeln.

Er ist sich sicher, so eine Wohnung findet er um den Preis nicht mehr. Mit seiner Pension und dem Geld, das er als Guide verdient, kommt er gut über die Runden: „Ich muss nicht jeden Euro zweimal umdrehen.“ Der 10. Bezirk sei zwar nicht sein Traumbezirk, wie er augenzwinkernd erzählt, aber er sieht’s pragmatisch: „Ein Kollege von mir, der wohnt im 11. Das ist ja eine Weltreise, wenn ich da in den Ersten zur Arbeit muss.“ Und zur Arbeit fährt er fast täglich


Dieser Beitrag erscheint in der 55. Ausgabe der neuner News – dem Spendenmagazin von neunerhaus. Das Magazin erscheint drei Mal jährlich. Lesen Sie hier die aktuellsten Ausgaben, stöbern Sie im Online-Archiv oder bestellen Sie ein kostenloses Print-Abo: Printversion bestellen.