Gerald L. ist seit 14 Jahren in der Wohnungslosenhilfe tätig, seit November 2024 als Leiter des neunerhaus Kudlichgasse. Über seine ersten Eindrücke, Lernprozesse und was das Radfahren mit der Arbeit zu tun hat. Ein Protokoll.
Kitschig-rührend
Ich komme gerade aus dem KUG Beisl (Anm.: gemeinsamer Aufenthaltsraum im Wohnhaus neunerhaus Kudlichgasse). Die Bewohner*innen haben mir nach vier Wochen den Spitznamen ‚Sonne‘ gegeben. Das finde ich schon ein bisschen kitschig-rührend. Aber ich glaube, es ist das, was ich mitbringe: eine offene Haltung und grundsätzlich gute Laune. Das ist meine Haltung, mein Zugang und ich hoffe, damit auch Dinge zu erreichen.
Auf Augenhöhe: Ein Lernprozess
Ich glaube, das Reflektieren und sich selbst Reflektieren ist das, was neunerhaus ein Stück weit ausmacht. Das merkt man einerseits im Umgang mit den Leuten, für die wir arbeiten. Hier wird versucht, dieses viel zitierte „auf Augenhöhe“ umzusetzen. Das ist durchaus ein Lernprozess und das funktioniert auch nicht von einer Sekunde auf die andere. Andererseits sieht man es auch in der Außendarstellung. Es wird nicht über die Personen, sondern mit den Personen gesprochen. neunerhaus setzt weniger auf die Tränendrüse als auf Solidarität, und fordert diese auch durchaus.
Ich bin jetzt 14 Jahre in der Wohnungslosenhilfe und das ist mir ins Auge gesprungen.
Gerald L. über den Umgang mit und die Darstellung von obdach- und wohnungslosen Menschen bei neunerhaus.
Entspanntes Tun
Ab der ersten Sekunde habe ich als Leitung die Verantwortung. Und mit dem ersten Tag im Haus ist man auch mittendrin. Ich will daran erinnern, immer wieder ein Stück weit zu entschleunigen. Vielleicht können wir bei dem, was wir tun, sogar bessere Ergebnisse erzielen, wenn wir es entspannter tun. Man sollte auch Nein sagen und nicht immer hinterherhecheln.
Ich persönlich entschleunige, indem ich mit dem Fahrrad in die Arbeit fahre. Eine halbe Stunde hin, eine halbe Stunde zurück. In der Arbeit bin ich einer Rolle und in einer Funktion. Nach Hause radeln gibt mir Zeit und zu Hause bin ich wieder ich selbst.
Im neunerhaus Kudlichgasse wohnen knapp 60 Menschen, die von Obdach- und Wwohnungslosigkeit betroffen waren. Sie wohnen in ihren eigenen Wohnungen, als Paar oder Einzelperson, mit oder ohne Haustier.