„Eine Wohnung, aus der ich nicht mehr rausmuss.“

Helmut F. war wohnungslos. Er ist kein Mann der vielen Worte. Seine Sicht der Dinge: pragmatisch. Und dennoch gewährt er Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Mannes, der fast ein Jahr wohnungslos war, Vater dreier Kinder ist und der erst kürzlich den eigenen Vater verlor. Endlich zieht er dank neunerhaus in eine unbefristete Wohnung.

© Christoph Liebentritt

Ein Gespräch über Familie, Krisen, Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und Hilfsbereitschaft.

Helmut F. wurde in der Steiermark geboren, aufgewachsen ist der heute 57-Jährige in Wien. Er arbeitete knapp 20 Jahre in Pakethallen, dort lernte er auch seine spätere Frau kennen, mit der er drei Kinder hat. Zwei von ihnen haben Behinderungen. Zu fünft, plus Hund – ein Golden Retriever – wohnen sie damals in einer Gemeindewohnung. Es sind keine leichten Zeiten. Stress und Überforderung stehen an der Tagesordnung. Es gibt viel Streit, wenig Platz. Der Hund bellt, sobald draußen jemand vorbeigeht oder klingelt. Die Wände sind hellhörig. Die Nachbarn beschweren sich.

2015 ziehen er und seine Frau mit den jüngeren Kindern in eine betreute Familienunterkunft. Der ältere Sohn wechselt in eine Wohngemeinschaft. Nach drei Jahren mieten sie wieder eine eigene Wohnung. Die Ehe erholt sich nicht. 2020 trennen sich die beiden. Als Helmut F. nach der Scheidung aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, will er nicht bei Freund*innen wohnen. Auch das Elternhaus in der Steiermark ist für ihn keine Option. Wien ist sein Lebensmittelpunkt, er will in der Nähe seiner Kinder bleiben. Er zieht in eine Einrichtung für obdachlose Frauen, Männer und Paare. Draußen schlafen musste er nie. „Ich hatte immer ein Dach über’m Kopf, eine Wohnung oder halt eine Unterkunft.“ Elf Monate lebte er in einer Einrichtung für obdachlose Menschen. Für ihn eine stressige Zeit. Die wenige Privatsphäre, die ihm bleibt, die Gemeinschaftsräume, die er teilen muss und die Schicksale der anderen Bewohner*innen beschäftigen ihn.

Duschen, wann man will.

Helmut F. führt durch die Ein-Zimmer-Wohnung, die er über neunerhaus Housing First und Mobil betreutes Wohnen vermittelt bekam. Er öffnet den Kühlschrank, zeigt, was er später kochen wird: Würstel und dazu einen Salat. Ein eigenes Badezimmer zu haben, das findet er „angenehm. Du musst nicht warten, bis es frei wird, musst es nicht vorher putzen, bevor du es benutzen kannst, weil es so dreckig ist.“ Er erinnert sich bis auf den Tag genau, wann er die Ein-Zimmer-Wohnung besichtigte: „Ich habe von neunerhaus dieses Angebot bekommen. Wohnung angeschaut. Das war am 14. Oktober 2021. Ja, passt. Nehm‘ ich.“

„Kein Problem. Passt“, antwortet Helmut F. oft auf Fragen. Ob wir ihn für diese Ausgabe besuchen dürfen? „Kein Problem.“ Wie die erste Nacht in der Wohnung war? „Kein Problem. Ich bin ausgegangen, bin hierher, habe mich niedergelegt. Passt.“ Wie es ihm aktuell geht? „In Summe geht’s.“ Vor einem Monat noch sei es ihm schlecht gegangen. Da ist sein Vater verstorben. Das Parte-Kärtchen steht im Regal neben den Pokalen, die er bei Darts-Turnieren gewonnen hat. Der Vater sei ein hilfsbereiter Mensch gewesen, immer für andere da. Die Kosten für die Beerdigung waren eine Belastung, Erspartes gibt es kaum. Die Demenzerkrankung der Mutter, wo sie untergebracht, versorgt und betreut werden kann, bereitet ihm und der ganzen Familie Kopfzerbrechen.

Soziale Ausgrenzung

© Christoph Liebentritt

Obdach- und wohnungslose Menschen werden oft ausgegrenzt, abgewertet und beschämt. Viele, die davon betroffen sind, verheimlichen Familie und Freund*innen, wie es ihnen geht oder brechen den Kontakt gänzlich ab. Helmut F. spricht offen über die Zeit, in der er keine eigene Wohnung hatte. Sein Umfeld weiß es, seine Kinder wissen es. Auch seinen Eltern erzählte er davon und versicherte ihnen: „Ich schaue, dass ich gleich wieder rauskomme.“ Warum er so offen darüber spricht? „Was soll ich denn tun? Hauptsache, ich habe ein Dach über’m Kopf. Ich habe Essen.“ Helmut F. versuchte eine Zeitlang selbst eine Wohnung zu finden. Wohnungen, die er sich leisten kann, sind ohnehin schwer zu finden. Wenn er mal fündig wurde, anrief und nach einem Besichtigungstermin fragte, erhielt er nur Absagen. „Ich beziehe Mindestsicherung“, nennt er den Grund, aus dem er abgelehnt wurde.

Endlich eine unbefristete Wohnung

Die Ein-Zimmer-Wohnung, in der wir mit Helmut F. sprechen, ist befristet. Doch noch im November 2024 zieht er mithilfe von neunerhaus in eine unbefristete Wohnung. Als das Gespräch auf die neue Wohnung fällt, holt er sofort die Mappe mit den Wohnungsunterlagen, legt sie vor sich auf den Tisch. Noch ist die Wohnung eine Baustelle. Aber der Besichtigungstermin steht schon fest. Seine Tochter und sein Betreuer von neunerhaus werden ihn begleiten und beim Ausmessen helfen. Über die neue Wohnung sagt er: „Ich bin froh, dass ich eine Wohnung kriege, dass ich nicht mehr ausziehen muss. Ich schaue, dass ich so lange drinbleiben kann, wie möglich.“ Und darüber macht er sich eigentlich keine Sorgen. Kleinere Reparaturen – sollten welche anfallen – kann er selbst übernehmen. Auch wie er die neue Wohnung einrichten wird, überlegt er schon. Kostengünstig jedenfalls. Er wird einige Möbel von einer Bekannten übernehmen können, die zur gleichen Zeit umziehen wird wie er.

Viele Gründe, warum man die Wohnung verliert.

Wenn Helmut F. obdach- und wohnungslose Menschen auf der Straße sieht, wird er nachdenklich: „Du weißt nie, warum sie auf der Straße sind. Scheidung, Wohnung verloren, Arbeit verloren. Es geht schneller, als man denkt. Man braucht nur krank werden, die Miete nicht bezahlen können. Da gibt es so viele Gründe, warum man die Wohnung verliert.“ Was es seiner Meinung nach braucht, um Wohnungslosigkeit zu beenden, ist deckungsgleich mit den Antworten von neunerhaus: „Fixe Wohnungen.“ Er führt aus: „Es wird viel gebaut, aber das kann sich eh keiner leisten.“ Er plädiert für leistbare Wohnungen statt Übergangslösungen, denn „in der Früh musst du raus (Anm. aus den Notschlafstellen), und darfst erst am Abend wieder rein. Das finde ich nicht richtig. Dazwischen liegst du auf der Straße, bei so einem Wetter noch dazu (deutet nach draußen, es regnet). Wirst nur krank, steckst die Leute an. Und so, baust ein paar Wohnungen, mit einer Küche, wo du kochen kannst. Das wäre schon besser.“ Nach dem Interview wird Helmut F. zum Auftakt der Darts Herbst-Liga gehen. Wenn er dann umzieht, in einen anderen Wiener Gemeindebezirk, wird sein Vereinslokal nicht mehr ums Eck sein. Aber: „Das ist kein Problem. Passt“


Dieser Beitrag erschien erstmals in der 54. Ausgabe der neuner News – dem Spendenmagazin von neunerhaus.


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369.000 Menschen in Österreich geben an, bereits einmal ohne eigene Wohnung gewesen zu sein. Wohnungslosigkeit betrifft längst nicht mehr nur jene, die am Rand unserer Gesellschaft stehen. Steigende Kosten bringen immer mehr in prekäre Lebensverhältnisse.

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