
Wie viel kann ein Mensch, ein Kind ertragen? Janosch R. ist zehn Jahre alt, als seine Schwester stirbt, 13, als seine Mutter Selbstmord begeht. Er kommt sehr früh mit Alkohol und Drogen in Kontakt. Es gab eine Zeit, da hatte er sich schon aufgegeben. Heute ist er stolzer Vater einer Tochter und seit zwei Jahren clean. Bald wird er als Peer in der Wiener Wohnungslosenhilfe arbeiten.
Du hast am neunerhaus Peer Campus die Ausbildung für ehemals obdach- und wohnungslose Menschen absolviert. Warum wurdest du obdach- bzw. wohnungslos?
Meine Mama hat sich umgebracht, da war ich 13. Davor ist meine Schwester gestorben. Ich bin sehr früh in Kontakt mit Drogen gekommen. Mit 17, 18 sind Medikamente und ganz viele andere Sachen dazugekommen. Mit 20 hatte ich meinen ersten Entzug, insgesamt war ich viermal auf stationärem Entzug. Bei meinem letzten Entzug wusste ich, wenn ich rauskomme, habe ich keine Wohnung mehr und werde wohnungslos sein. Ich konnte zum Glück ins Vinzenzhaus einziehen. Das ist ein Haus für suchtkranke, wohnungslose Männer und bietet eine abstinente Umgebung. Drei Jahre habe ich dort gewohnt. Seit zwei Jahren bin ich komplett abstinent und im November 2024 in meine erste Gemeindewohnung eingezogen.
Warum hast du dich für die Ausbildung zum Peer entschieden?
Ich wusste nie, was ich beruflich machen will. Nach meiner Lehrzeit habe ich eigentlich nie gearbeitet. Ja, mich haben andere Dinge im Leben mehr interessiert. Nach meinem letzten Therapieaufenthalt wusste ich, dass ich irgendwo im Sozialbereich tätig sein und mit Menschen arbeiten möchte. Da fühle ich mich einfach zu Hause. Der Peer im Vinzenzhaus hat mich auf den neunerhaus Peer Campus aufmerksam gemacht. Ich habe mich dann näher über die Ausbildung informiert und wusste sofort: das ist das Beste, was ich mit meiner Geschichte und vor allem mit meinem Wissen im Suchtbereich machen kann. Ich will und ich kann ganz vielen Menschen helfen.
„Ich wusste sofort, das ist das Beste, was ich mit meiner Geschichte machen kann!“
Janosch R. über die Ausbilung zum Peer am neunerhaus Peer Campus.
Das Praktikum habe ich im Chancenhaus Hermes gemacht. Es ist sehr gut gelaufen und ich hatte dort auch ein Bewerbungsgespräch. Die Arbeit als Peer ist das Einzige, was ich mir vorstellen kann, wirklich lange zu machen. Irgendwann mache ich vielleicht auch die Ausbildung zum Sozialarbeiter. Aber jetzt, gerade für den Start, ist es einfach perfekt. Zum Reinkommen, zum Resozialisieren, wie man so schön sagt, gibt es nichts Besseres.
Was hat sich in den sieben Monaten des Zertifikatskurses bei dir verändert?
Ich bin in so vielen Dingen gewachsen. Ich habe mich selbst irrsinnig gut kennengelernt. Ich habe Fähigkeiten, die ich mir in meiner wöchentlichen Therapie angeeignet habe, im Kurs weiter ausbauen und eine gewisse Resistenz und eine gewisse Distanz zu diesen ganzen Dingen aufbauen können. Der Kurs hat mir eine neue Lebensperspektive gegeben.
Was war der Auslöser, dein Leben umzukrempeln, es nochmal zu versuchen?
Der Hauptgrund ist, ich bin Papa geworden. Nachdem ich wirklich eine beschissene Kindheit hatte – die Mama hat sich umgebracht, die Schwester ist gestorben – habe ich mir versprochen, wenn ich einmal Vater werden sollte, dass meine Tochter nicht so eine Kindheit haben wird, wie ich sie hatte. Sie soll ein stabiles Umfeld haben. Meine Tochter war der Grund, es noch einmal zu probieren. Ich bin so gerne Papa. Sie ist mein Leben. Sie war mein kleiner Engel, der mich gerettet hat. Ich hatte mich schon aufgegeben. Durch meine Tochter habe ich mich selbst lieben gelernt – also (er revidiert an dieser Stelle) da ist noch ganz viel, lieben tue ich mich nicht. Aber ja, ich bin mit mir im Reinen und kann in den Spiegel schauen.
„Ich wusste, dass ich mein Umfeld verändern muss, das ist meistens so im Suchtbereich. Ich mache jetzt Kampfsport. Neben meiner Familie ist der Kampfsport mein zweites Zuhause.“
Der 29-Jährige ist seit zwei Jahren clean und hat sich dafür auch ein neues Umfeld aufgebaut.
Du redest sehr offen über deine Vergangenheit. Wie reagiert dein neues Umfeld darauf?
Meine Familie ist nie von meiner Seite gewichen, auch wenn sie die Hoffnung zwischendurch verloren haben, dass ich mein Leben in den Griff bekomme. Ich habe einen kompletten Wandel hinter mir. Es sind alle einfach überglücklich, dass ich es geschafft habe. Genau wie ich.
Was wünschst du dir für deine eigene Zukunft?
Das ist eine gute Frage. Ganz viel Gesundheit, ganz viel Liebe. Ja, Gesundheit, Liebe und Freude am Leben.
Der Zertifikatskurs Peers der Wohnungslosenhilfe wurde 2017/2018 gemeinsam mit dem FSW entwickelt und wird durch eine Projektförderung des FSW finanziert. Mehr zum neunerhaus Peer Campus.