Kurz vor ihrem 18. Geburtstag wurde Jenny S. von ihren Eltern vor die Tür gesetzt. Fast 10 Jahre vergehen, in denen sie keinen festen Wohnsitz hat. In dieser Zeit schließt sie Freundschaften, entdeckt ihre Liebe zur Musik, ist aber auch Gewalt und Übergriffen ausgesetzt. Eine psychische Erkrankung manifestiert sich. Jenny S. zählte bis vor Kurzem zu jenen rund 6.600 jungen Erwachsenen, die in Österreich von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffen sind. neunerhaus trifft die heute 28-Jährige im neunerhaus Café, wo sie, wenn das Geld knapp wird, zum Essen hinkommt.

Jenny S. dreht sich eine Zigarette und nimmt in der Grätzeloase vor dem neunerhaus Café Platz. Ihre Hündin Hayley sitzt aufgeregt neben der 28-Jährigen und freut sich über ausgiebige Streicheleinheiten. „Kurz vor meinem 18. Geburtstag haben mich meine Eltern rausgeworfen.“ Sie ist im Burgenland aufgewachsen, ihre Kindheit und ihre Jugend waren nicht das, was man ein glückliches und geborgenes Aufwachsen nennen würde. Nach ihrem Rauswurf ging sie nach Wien. „Wien und die Drum & Bass Szene haben mich gerettet.“ Auf diese Zeit blickt sie reflektiert zurück. Einerseits habe sie in der Szene Gemeinschaft erfahren, andererseits kam sie dort auch mit Drogen in Berührung.
Obdach- und Wohnungslosigkeit als junge Erwachsene
Jenny S. kam mal da, mal dort unter. Mal wohnte sie bei Freund*innen, mal in einer Wohngemeinschaft, mal zur Untermiete, nie sicher, nie langfristig. Im Fachjargon nennt man das verdeckte Wohnungslosigkeit. Um nicht auf der Straße zu landen, zahlte sie einen hohen Preis, nahm Gewalt in Kauf.
Dann musste ich draußen in der Kälte schlafen.
Als Jenny S. vorübergehend zur Untermiete wohnte, wurde sie eines Nachts ausgesperrt.
Jahrelang hatte Jenny S. kein regelmäßiges Einkommen und keinen Ort, an dem sie sicher und dauerhaft wohnen konnte. Ändern wollte sie diese Situation oft, wusste aber nicht wie: „Ich wusste nicht wohin, war nicht in der Lage, mir etwas zu suchen. Es hat psychisch oft vieles nicht funktioniert. Der Wille etwas zu verändern, wäre ja da gewesen, aber ich wusste nicht wie.“ Jenny S. leidet an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Betroffenen fällt es schwer, ihre Handlungen und Gefühle zu kontrollieren, es kann zu impulsiven Verhalten und starken Stimmungsschwankungen kommen. Sie spricht offen über ihre Erkrankung, weil sie die Krankheit entdämonisieren und zeigen will: „Nicht alle Borderliner sind gleich.“
Über ein Tageszentrum für obdachlose Frauen kommt sie schließlich in eine Einrichtung für junge Wohnungslose und später in eine Übergangswohnung. Langsam geht es bergauf. Seit drei Jahren ist Hayley an ihrer Seite. Die Hündin „war ein Geschenk des Universums. Sie hat mir arg geholfen. Aus depressiven Phasen und dass nicht alles aus dem Ruder läuft.“ Mit Hayley konnte sie nicht zuhause bleiben, sie musste mit der Hündin vor die Tür. Gerade während der Pandemie und der Lockdowns war Hayley sehr wichtig: „Wenn sie nicht bei mir zuhause gewesen wäre –“ An dieser Stelle bricht sie ab. „Ich war schwer selbstmordgefährdet. Meine zwei Stinkies (Anm. so nennt sie ihre Hündin Hayley und Katze Phoeby) haben mich gerettet. Sehr oft schon.“
Das neunerhaus Café als Safe Space
Die Hündin Hayley war es schließlich auch, die Jenny S. zu neunerhaus führte. Obdach- und wohnungslose Menschen können ihre Tiere in die neunerhaus Tierärztliche Versorgung bringen. Gleich daneben befindet sich das neunerhaus Café. Hierher kommt sie, wenn Mitte oder Ende des Monats das Geld knapp wird oder sie Unterstützung braucht. Wobei? „Mit Dokumenten, mit so Erwachsenen-Sachen, die man in der Schule nie gelernt hat und wo einem eigentlich die Eltern helfen.“ Im neunerhaus Café fühlt sie sich wohl, es ist ihr „Safe Space.“
Musik und Schreiben als Ventil
Jenny S. legt seit ein paar Monaten selbst Musik auf, sie singt, schreibt Texte auf Englisch und Deutsch. Sie schreibt über ihre Erfahrungen und verarbeitet so ihre Vergangenheit. „Das Schreiben ist mein Ventil.“ Für ihre nahe Zukunft wünscht sie sich einen ambulanten Therapieplatz. Langfristig möchte sie in Schulen Aufklärung und Gewaltpräventionsarbeit leisten, damit es anderen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einmal besser geht als ihr.