Sängerin und Wiener Original Jazz Gitti hat zu sich nach Hause eingeladen und mit neunerhaus Geschäftsführerin Daniela Unterholzner über die Jugend und das Älterwerden gesprochen.
Daniela Unterholzner: Haben Sie zuhause einen Lieblingsplatz?
Jazz Gitti: Eigentlich da, wo ich gerade sitze. Ich liege ganz gerne auf der Couch.
Unterholzner: Ihre Lebensgeschichte ist ja gezeichnet von Immer-Wieder-Aufstehen und Neues probieren.
Gitti: Naja, anders geht’s ja auch nicht. Wenn ich Ja sage zum Leben, muss ich schauen, dass es irgendwie weitergeht – und wenn‘s geht, dann besser als vorher.
Unterholzner: Was gab und gibt Ihnen Energie und Motivation?
Gitti: Meist hat man ja auch Verantwortung zu tragen für andere Leute, also muss man sich auch etwas überlegen, sonst lässt man die anderen ja im Gatsch hängen. Und so ein Typ bin ich nicht. Das habe ich auch nicht zuhause gesehen. Meine Mutter war Jüdin, mein Vater nicht. Mich gäbe es wohl nicht, wenn mein Vater meine Mutter nicht durch diese schwere Zeit gebracht hätte. Das habe ich immer gesehen: Zusammenhalten, Familie, da hilft man einander. Im Großen und Ganzen: Ich hab‘ Menschen gern. Natürlich gibt’s auch Menschen, die ich nicht mag, denen gehe ich aus dem Weg. Ich bin ein grundehrlicher Mensch, ich sage, was ich mir denke.
„Mir wurde Verantwortung zu Hause vorgelebt. Aber jemand, der das nie hatte, wie soll der das denn wissen?“
Jazz Gitti
Unterholzner: Wie war Ihr Leben als junge Erwachsene?
Gitti: Meine Mutter ist gestorben, da war ich noch nicht 14. Ein Teil meines Vaters ist mit meiner Mutter gestorben. Ich war also auf mich selbst gestellt. Mit 19 Jahren habe ich meine Tochter bekommen und hatte Verantwortung zu tragen. Der Kindsvater hat zwar am Anfang viel geredet, aber sehr wenig getan. Mir wurde Verantwortung zu Hause vorgelebt, von meinem Vater und meiner Mutter. Aber jemand, der das nie hatte, wie soll der das denn wissen?
Unterholzner: Was hat Sie im Leben noch geprägt?
Gitti: Mich hat vor allem meine Jugend sensibilisiert. Ich war ein dickes Kind, mich haben sie geschimpft, zuerst hat‘s mich gekränkt, dann hab‘ ich mir gedacht, so nicht und habe mich gewehrt. Und ich hatte einen Ruf im 2. Bezirk am Mexikoplatz. Den musste ich verteidigen! (lacht)
Unterholzner: Hatten Sie jemals Berührungspunkte mit Obdach- und Wohnungslosigkeit?
Gitti: Bei mir damals im Jazz Club gab es oft solche Menschen. Die sind halt in einer Ecke gesessen. Andere hätten sie vielleicht rausgeschmissen, aber ich habe mir gedacht, der schläft eh. Eigentlich war ich stolz, dass der Obdachlose neben dem Generaldirektor gesessen ist.
Unterholzner: Nächstes Jahr feiern Sie ja einen runden Geburtstag.
Gitti: Schrecklich, ich dachte, so alt werde ich gar nicht. Ich bin schon so oft dem Quiqui1 von der Schaufel gesprungen.
Unterholzner: Was wünschen Sie sich?
Gitti: Wenn ich mir einen Wunsch erlauben darf, dann wünsche ich mir, so lange zu leben, solange das Leben noch lebenswert ist. Dass ich zumindest den Großteil meiner Dinge selbst erledigen kann – und Spaß habe. Weil alles andere ist Fegefeuer.
Unterholzner: Vielen Dank für das Gespräch!
Zukunft ohne Zuhause. Wenn junge Menschen obdach- oder wohnungs sind.
Fast jede*r Fünfte in der Wiener Wohnungslosenhilfe ist unter 30. neunerhaus ist für sie da und setzt sich für ihr Recht auf Wohnen, ein würdevolles Leben und eine selbstbestimmte Zukunft ein. Hier erzählen wir, wie wir das machen.
Dieser Beitrag ist in der 56. Ausgabe der neuner News – dem Spendenmagazin von neunerhaus – zu lesen.
1beliebte und bekannte alte Wiener Bezeichnung für den Tod.