
Wenn der Kopf heiß rennt. Wie fühlt sich eine Depression an, was macht sie mit einem und was sollte das Umfeld darüber wissen? Markus K. konnte aufgrund seiner Erkrankung lange Zeit nicht arbeiten – sie führte bei ihm sogar zu Wohnungsverlust. In der neunerhaus Kampagne #ÜberLebenReden spricht der Bewohner des neunerhaus Hagenmüllergasse und Absolvent des neunerhaus Peer Campus offen über das Tabu-Thema Depression.
neunerhaus: Woran hast du gemerkt, dass du depressiv bist?
Markus K.: Eines Tages war es so, als würde ich die Welt durch einen Fernseher wahrnehmen. Ich sehe den Film und ich spiele auch darin mit, aber es ist irgendwie nicht real. Langsam habe ich begonnen, aus zwischenmenschlichen Beziehungen auszusteigen, ich konnte zum Beispiel das Telefon nicht abheben. Das waren für mich Warnzeichen, dass etwas nicht stimmt, aber ich konnte es nicht benennen. Denn am Anfang ist man vielleicht nur müde, auch mit Menschen zu reden. Man rennt im Kopf heiß, weil man sich viele Gedanken macht: Warum läuft es nicht? Was ist los mit mir? Aber man findet keine Antworten darauf. Diese kleinen Tricks, wie man mit sich selber arbeiten kann, dass es einem besser geht, die gehen einem langsam aus.
„Die Depression nimmt dir das Leben aus den Händen und du sitzt da und bist machtlos und müde.“
Markus K. über seine Depression.
Oft ist es so, dass depressive Menschen Schwierigkeiten haben, auf ihre Hygiene zu achten. Das sind aber auch alles Dinge, mit denen man arbeiten kann. Für mich – und auch für die Leute in meinem Umfeld – war es ein Anzeichen dafür, dass ich mich wieder verändere und depressiv werde, wenn ich mich länger nicht rasiert habe. Heute lasse ich mir den Bart manchmal gerne stehen – aber aus stylischen Gründen (lacht).
Wie fühlt sich eine Depression an?
Schwer. Beklemmend. Es beschäftigt den ganzen Organismus. Es gibt Phasen, in denen man wütend darüber ist, wie es einem geht und wie das Leben gerade ist. Für mich war die Depression wahnsinnig monoton. Nur im Kopf nicht, wo sich die Depression am allermeisten abspielt: Du wachst in der Früh auf. Es geht dir vielleicht die ersten zwei, drei Minuten noch ganz gut und dann beginnt es langsam. Man hat wieder einen Tag, an dem es nichts Gutes gibt, an dem man sich zurückziehen möchte. Man weiß, dass man sich selber damit schadet, wir Menschen sind ja kommunizierende Gefäße.
Wie hast du es geschafft, aus deinem Rückzug herauszukommen?
Ich musste mich zwingen zu kommunizieren. Ich habe damals fast alle meine Freunde verloren. Im Zuge meiner Ausbildung (Anm. am neunerhaus Peer Campus) habe ich mich gezwungen, zu kommunizieren, anzurufen. Dieses Unangenehme am Anfang musste ich beiseiteschieben. Es ist auch irgendwie komisch, ein Gespräch zu führen, dass man gar nicht führen will. Aber nach und nach fängt das Ganze zu laufen an, dann fällt es einem nicht mehr so schwer, und irgendwann freut man sich wieder über zwischenmenschliche Kontakte.
Das klingt nach einem ziemlichen Kraftakt.
Das ist es auch. Es ist ziemlich kräftezehrend, gegen sich selbst zu arbeiten. Auch das Mut-Machen, das Sich-selbst-Bekräftigen und Sich-selbst-Loben habe ich wieder lernen müssen.
„Ich glaube, die Angst nochmals zu scheitern und dass mir das ganze nochmal passiert – die wird mich mein Leben lang begleiten.“
Markus K. arbeitet wieder und führt, wie er sagt, ein stabiles Leben. Das will er sich bewahren.
Was hast du zum Überleben gebraucht?
Als ich ins neunerhaus Hagenmüllergasse gezogen bin, habe ich mich in Therapie begeben. Und ich habe eine Person gebraucht, die noch an mich glaubt. Und die ist zum Glück wieder in mein Leben zurückgekehrt. Es war mir für mich sehr wichtig, eine Person an meiner Seite zu haben, weil ich mir lange nicht sicher war, ob ich es schaffe und ob ich mit einem weiteren Scheitern umgehen könnte.
Was muss das Umfeld über Depressionen wissen?
Dass depressive Menschen das nicht böse meinen, wenn sie nicht aktiv an zwischenmenschlichen Beziehungen arbeiten können. Ich kann nur dazu aufrufen, Verständnis zu zeigen, auch wenn es schwerfällt, man sich Sorgen macht oder sich vielleicht sogar ärgert. Man sollte der betroffenen Person die Zeit geben, die sie braucht, um mit sich selbst wieder klarzukommen. Ich empfehle, dass man sich auch als Angehörige professionelle Unterstützung holt.
„Es gibt ein Danach –das ist dann auch für das Umfeld schön, wenn derjenige wieder zu sich zurückkehrt und wieder da ist.„
Markus K. weiß aus eigener Erfahrung, was eine Depression mit dem Umfeld machen kann.
Du hast 2025 die Ausbildung zum Peer der Wohnungslosenhilfe abgeschlossen und triffst in deiner Arbeit auf Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wie geht es dir damit?
Gut, weil ich ein Verständnis für sie habe. Ich kann mitfühlen, wer gerade in dieser Phase ist, wo er mit sich selber kämpft. Man spürt, wenn der andere in sich gefangen ist, oder ob jemand Bekräftigung braucht und vielleicht auch einfach nur mal einen netten Satz. An meinen depressiven Tagen war manchmal das einzig Positive, dass mich meine Nachbarin gegrüßt und mir einen schönen Tag gewünscht hat. Diese kleinen positiven Sachen im Leben braucht es.
Was würdest du deinem damaligen Ich raten?
Dass es okay ist, sich jetzt so zu fühlen, dass es okay ist, dort zu stehen, wo ich damals stand, dass es aber besser wird und dass auch wieder schöne Tage kommen. Und dass ich ja nicht darauf vergessen soll, dass das auch passieren wird. Heute bin ich stolz. Darauf, dass ich mit meiner Depression und mit meiner ganzen Geschichte gut bin. Das klingt drastisch, aber ich bin auch stolz, dass ich überlebt habe.
Hilfe bei neunerhaus
Obdach- und Wohnungslosigkeit zählen zu den extremsten Formen von Armut. Menschen, die lange Zeit auf der Straße gelebt haben, nicht wussten, wo und wie sie die nächste Nacht verbringen werden, sind oft am Ende ihrer körperlichen und psychischen Kräfte. Krankheiten verschlechtern sich. Deshalb arbeiten in den neunerhaus Wohnhäusern Betreuungsteams aus Sozialarbeiter*innen, Assistent*innen für Wohnen und Alltag, Peer-Mitarbeiter*innen, Gesundheitsfachkräfte und mobile Ärzt*innen mit externen psychiatrischen und psychologischen Fachdiensten zusammen, um die Gesundheit der Bewohner*innen zu stabilisieren, zu verbessern und – wo nötig – wiederherzustellen. Die neunerhaus Praxis Psychische Gesundheit leistet rasch und unbürokratisch psychosoziale Unterstützung für Menschen, die das neunerhaus Gesundheitszentrum in der Margaretenstraße 166 aufsuchen.
neunerhaus Kampagne #ÜberLebenReden
Wie Markus K. haben sich auch Ilse F., Angelika T. und Helmut L. mit ihren Geschichten vor den Vorhang – und vor die Kamera – gewagt. In bewegenden Interviews erzählen sie von Delogierungen, einem Leben im Auto oder vom Alltag auf der Straße.
Mit der Kampagne #ÜberLebenReden macht neunerhaus sichtbar, was es bedeutet, obdach- oder wohnungslos zu sein. Jeder Mensch kann in eine Notlage geraten. Entscheidend ist, dass ein Neuanfang möglich wird. neunerhaus schafft dazu Perspektiven: mit Wohnraum, medizinischer Versorgung und sozialarbeiterischer Beratung. Denn: Überleben ist der Anfang, Leben das Ziel.
Die Menschen und ihre Geschichten im interaktiven Videoformat kennenlernen auf: neunerhaus.at/ueberlebenreden
Hilfe bei Depressionen und in psychischen Krisen
In psychischen Krisen ist es wichtig, sich Unterstützung zu holen. Folgende Anlaufstellen und Notrufnummern in Österreich und Wien bieten Hilfe und Beratung, viele auch rund um die Uhr.
Österreichweit
Telefonseelsorge: 142 – rund um die Uhr, anonym und kostenlos. telefonseelsorge.at
Ö3-Kummernummer: 116 123 (täglich 16:00–24:00)
Rat auf Draht (Kinder & Jugendliche): 147 – rund um die Uhr, anonym
Frauen-Helpline (bei Gewalt): 0800 222 555 – rund um die Uhr
Männernotruf: 0800 246 247 – anonyme Krisenhilfe für Männer
Notruf Polizei: 133
Rettung / medizinischer Notfall: 144
Wien
Sozialpsychiatrischer Notdienst Wien (PSD / SND): 01 31330 (täglich 0–24 Uhr)
Kriseninterventionszentrum Wien: 01 406 95 95 (Mo–Fr 8–17 Uhr)
Psychiatrische Abteilung des AKH Wien: 01 40400-3603
Sorgenhotline Wien (psychosoziale Beratung): 01 4000 53000 (täglich 8–20 Uhr)