Der Einsatz für obdachlose Menschen ist weit mehr als „nur“ der Einsatz für obdachlose Menschen – es ist ein Dienst an der Gesellschaft“, schreibt Elisabeth Hammer im Gastkommentar anlässlich des Welttages der Obdachlosen.
Obdachlosigkeit ist in vielen europäischen Großstädten im Straßenbild sichtbar: Schätzungen zufolge nächtigen rund 900.000 Menschen in Europa im Freien, das entspricht der dreifachen Einwohner*innenzahl von Graz. Als hätten die EU-Mitgliedsländer (inklusive Österreich) die Zuspitzung dieser Problemlage kommen sehen, haben sie sich 2021 in der Deklaration von Lissabon dazu verpflichtet, an der Beendigung von Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2030 zu arbeiten.
Kein Randthema
Klingt gut, und seitdem ist viel passiert: Während manche Obdach- und Wohnungslosigkeit noch immer als gesellschaftliches Randphänomen kleinreden, hat die Krise des leistbaren Wohnens europaweit längst auch den Mittelstand erreicht. Trotz Arbeit besteht die Gefahr, sich Wohnen nicht mehr leisten zu können – ein Faktum, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich als Gefährdung für Volkswirtschaften und Wettbewerbsfähigkeit anerkannt hat und das auch in der aktuellen Diskussion rund um den EU-weiten Affordable Housing Plan angekommen ist.
Abseits der Krise des leistbaren Wohnens sind viele Länder mit engen öffentlichen Budgets konfrontiert und haben einen Sparkurs bei Sozialausgaben eingeläutet – auch Österreich. In Finnland kann man die Auswirkungen davon schon jetzt beobachten: Innerhalb weniger Jahre hat man dort mit dem Konzept Housing First, das heißt rascher Zugang zu leistbarem Wohnen in Kombination mit sozialarbeiterischer Betreuung, Obdach- und Wohnungslosigkeit um 90 % gesenkt und galt europaweit als Vorbild. Doch seit dem letzten Jahr ist man auch im Norden wieder mit steigenden Zahlen konfrontiert. Es sind gekürzte Sozialleistungen, durchgesetzt von einer rechtsgerichteten Regierung, die die Gefährdung, obdach- und wohnungslos zu werden, erhöhen.
Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit geht anders. Das sollte für alle europäischen Länder ein Weckruf sein, denn egal, wo wir leben: Vor biographischen, gesundheitlichen und existenziellen Krisen sind wir nirgendwo gefeit.
Ausgrenzung, Diffamierung und Aggression
Der politische Rechtsruck lässt, von Wohnungs- und Wirtschaftskrisen ablenkend, obdach- und wohnungslose Menschen mehr denn je als Bedrohung erscheinen. Dies zeigt sich in den USA, wo der US-Präsident die Nationalgarde zur Säuberung der Städte auch von obdachlosen Menschen auf den Plan ruft. Nicht weit von Wien, in Ungarn, mündet dieses Narrativ der Bedrohung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung bereits in eine generelle Kriminalisierung von Obdachlosigkeit.
Kein Wunder, angesichts dieser Stimmungsmache und der Beispiele faktischer Ausgrenzung, dass obdachlose Menschen vermehrt zur Zielscheibe von Diffamierung und Aggression werden und Gewaltvorfälle an dieser Gruppe zunehmen: Allein in Berlin wurden letztes Jahr 500 sogenannte „hate crimes“ gegenüber obdachlosen Menschen gezählt.
Lassen wir nicht zu, dass jene, die aus eigener Kraft in einer abgegrenzten Phase ihres Lebens ihre Existenz nicht sichern können, diffamiert und ausgegrenzt werden. Besonders, wenn wir genau wissen, wo die Schwierigkeiten wirklich liegen, dass wir gerade gemeinsam in einer wirtschaftlich angespannten Situation sind, dass Miet- und Energiepreise so viele belasten und dass öffentliche Haushalte saniert werden müssen.
Wohn- und Sozialpolitik für alle
Auch wenn manche europäischen Länder nicht willens oder nicht fähig sind, ihre Wohnungsmärkte und ihre Sozialsysteme armutsfest zu gestalten, der Ausweg einer Kriminalisierung der betroffenen Menschen ist weder dort noch hier in Österreich eine Lösung – jedenfalls keine, die Menschenwürde sichert und Menschenrechten entspricht. Vielmehr braucht es dazu klare Kante und eine europäische Zusammenarbeit, die bestmöglich ökonomische und soziale Probleme dort löst, wo sie auftreten.
Housing First
Last, but definitely not least: Die Beendigung von Wohnungslosigkeit in Österreich ist keine rocket science. Das Konzept Housing First ist international erprobt und wird in Österreich schon in kleinerem Umfang erfolgreich umgesetzt. Housing First ist auch im österreichischen und Wiener Regierungsprogramm verankert. Expert*innen wissen wie es geht und begleiten Betroffene auf dem Weg zurück in ein eigenständiges Leben. Die Expert*innen wissen aber auch, dass eine strukturelle Reduzierung der Zahl obdach- und wohnungsloser Menschen nur mit existenzsichernden Einkommen und leistbarem Wohnen geht.
Aber sind dies nicht diese jene zwei Grundpfeiler, deren Verwirklichung nicht nur derzeit rund 20.500 registriert obdach- und wohnungslosen Menschen zu Gute kommen würde, sondern für unser aller Leben notwendig und zu sichern ist?
HIER geht es zum gesamten Gastkommentar von Elisabeth Hammer in der PRESSE.