Violeta O. lebte von klein auf abwechselnd in Heimen oder bei Pflegeeltern. Das Gefühl von Zuhause sein und Geborgenheit sollte sie erst jetzt mit knapp 46 Jahren kennenlernen. Die Geschichte von Violeta O. zeigt, was vielen Frauen in verdeckter Wohnungslosigkeit widerfährt: Sie war alleinerziehend, arbeitete in einem schlecht bezahlten Job und suchte vermeintliche Sicherheit in einer neuen Partnerschaft. Mit ihrer Ausbildung zur Peer der Wiener Wohnungslosenhilfe gibt sie sich selbst Sicherheit, Ziele und ein sicheres Einkommen.
Als Peer der Wohnungslosenhilfe hast du selbst Erfahrungen mit Obdach- oder Wohnungslosigkeit. Was ist damals passiert?
Ich habe mein Leben lang in Heimen verbracht. Zuerst in Serbien, dort bin ich geboren. Mit 12 bin ich mit meinen Pflegeeltern vor dem Krieg geflüchtet und nach Wien gekommen. Mit 20 bin ich aus der letzten Einrichtung ausgezogen, habe geheiratet und zwei Kinder gekriegt. Nach der Scheidung war ich zwei Jahre lang alleinerziehend. Ich hatte einen Vollzeitjob, war überfordert und verschuldet. Dann habe ich mir eingebildet, ich fange eine neue Beziehung an. Das war aber ein schwerer Fehler. Gewalt und Drogen waren im Spiel. Nach fünf Jahren habe ich es endlich geschafft, mich davon zu lösen.
„Nie wieder werde ich in einer Einrichtung landen!“
Violeta O. gab sich selbst das Versprechen, nie wieder in eine Einrichtung für wohnungslose Menschen zu gehen – sie verbrachte einen großten Teil ihrer Kindheit in Heimen.
Ich wollte in keine Einrichtung für wohnungslose oder gewaltbetroffene Frauen. Ich hätte das nicht ertragen, wieder in eine Einrichtung zu kommen. Als ich mit 20 aus der letzten Einrichtung ausgezogen bin, habe ich mir gesagt: ‚Nie wieder werde ich in einer Einrichtung landen!‘ Und dann war ich halt verdeckt wohnungslos und bin bei Freunden untergekommen. Ich habe zwei oder drei Jahre keine Meldeadresse und kein Einkommen gehabt, weil der Weg zum AMS damals für mich zu schwer war. Ich bin kein Mensch, der Hilfe annehmen kann, ich habe mich immer geschämt, nach Hilfe zu fragen. Dadurch bin ich mir selber oft im Weg gestanden.
Wie bist du auf die Ausbildung am neunerhaus Peer Campus gekommen?
Eine Freundin hat die Ausbildung 2019 abgeschlossen. Vor drei Jahren habe ich mich das erste Mal beworben. Da war ich aber noch wohnungslos und war eigentlich noch nicht so weit. Trotzdem habe ich mir gedacht, ich gebe nicht auf, weil Peer zu sein mein Traumjob ist. Ich wollte schon immer im sozialen Bereich arbeiten.
Wie ist deine aktuelle Wohnsituation?
Seit zwei Jahren wohne ich mit meinem Lebensgefährten zusammen, der mit beiden Beinen im Leben steht. Er ist der erste Mensch, der mich wertschätzt, der mir das Gefühl gibt, etwas wert zu sein. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, wirklich angekommen zu sein und einen Ort zu haben, an dem ich mich wohl- und geborgen fühle.
Was hat sich mit dem Kurs verändert?
Ich habe mich verändert. Ich war ein Mensch, der nicht ‚Nein‘ sagen konnte. Auch wenn es mein Letztes ist, ich habe es gegeben – ohne nachzudenken, wie es mir dann geht. Ich habe auch nie gelernt, an mich zu denken. Mir waren immer die Leute um mich herum wichtig, dass sie glücklich und erfüllt sind. Damit war ich zufrieden. Und jetzt habe ich angefangen, mehr an mich zu denken und an meine Ziele. Ich habe das erste Mal seit Jahren wieder Ziele.
„Am liebsten würde ich mit Jugendlichen oder in einem Wohnhaus arbeiten.“
Peer Violeta O. hat konkrete Ziele, wohin sie sich nach der Ausbildung am neunerhaus Peer Campus beruflich möchte
Bist du stolz auf dich und darauf, den Kurs bald abzuschließen?
Ich glaube, das werde ich erst sein, wenn ich das Zertifikat wirklich in der Hand habe. Ich habe in meinem Leben schon oft Kraft gesammelt, um wieder vom Boden aufzustehen und weiterzugehen. Und dann bin ich kurz vor dem Ziel gescheitert. Deshalb schaffe ich es noch nicht, mich schon zu freuen.
Der Zertifikatskurs Peers der Wohnungslosenhilfe wurde 2017/2018 gemeinsam mit dem FSW entwickelt und wird durch eine Projektförderung des FSW finanziert. Mehr zum neunerhaus Peer Campus.