20.573. So viele Menschen waren 2023 in Österreich offiziell obdach- oder wohnungslos. 2022 waren es 19.800. Warum immer mehr Menschen obdach- und wohnungslos sind und ein Schlafsack zwar warm hält, aber Wohnungslosigkeit nicht beendet, darüber sprach Elisabeth Hammer, Geschäftsführung neunerhaus mit dem Falter.
Immer mehr Menschen in Österreich sind obdach- oder wohnungslos
„Für den Anstieg gibt es unterschiedliche Gründe. Es geht um die ökonomische Situation und die Situation am Arbeitsmarkt. Kika/Leiner ist wieder in Konkurs und das ist nur ein Beispiel von vielen, wie die Rezession die Menschen trifft. Dazu kommen steigende Mieten, Wohnen wird für immer weniger Menschen leistbar. Langfristig gesehen werden diese Entwicklungen auch einen Anstieg von Obdach- und Wohnungslosigkeit bewirken, wenn wir uns jetzt nicht kraftvoll dagegen stemmen.“
Die Straße als letzte Variante
„Wenn Menschen auf der Straße oder in Notquartieren landen, haben alle vorgelagerten Systeme versagt: Arbeitsmärkte, Wohnungsmärkte, Menschenrechte und Sozialsysteme. Und zwar nicht nur in Österreich, sondern international. Systeme in anderen Ländern spucken Menschen aus, wenn sie nicht mehr gebraucht oder gewollt werden.
Nur ein Bruchteil der als obdach- und wohnungslos registrierten Menschen wählt die Straße als letzte Variante (Anm.: Hier erklären wir den Unterschied zwischen Obdach- und Wohnungslosigkeit. Der größte Teil der Menschen ist nicht obdachlos im herkömmlichen Sinn. Es gibt eine große Bandbreite von Menschen, die als wohnungslos gelten und zum Beispiel befristet in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben. Zum Beispiel eine Frau, die ihre Wohnung verliert, weil der Partner sie rausschmeißt, Menschen, die delogiert werden, junge Erwachsene, die noch nie einen eigenen Mietvertrag hatten.“
Systeme in anderen Ländern spucken Menschen aus, wenn sie nicht mehr gebraucht oder gewollt werden.
Elisabeth Hammer im Falter-Interview
Kurzfristige Hilfe und langfristige Lösungen
„Ich möchte die Notquartiere nicht missen. Aber wir brauchen darüber hinaus qualitätsvolle Angebote, die nachhaltig wirken und die Situation von Grund auf bearbeiten. Mit einem warmen Wort, einem Schlafsack und einem heißen Getränk, ist Menschen individuell geholfen. Aber das reicht nicht, um eine Person aus einer Notlage herauszuholen.
Es braucht mehr qualitätsvolle niederschwellige Angebote, die brauchen Zeit, Fachpersonal und kosten Geld. Ein Beispiel, das international gut erprobt ist und auch in Wien schon umgesetzt wird, sind Chancenhäuser. Personen können sich dort über einen längeren, befristeten Zeitraum aufhalten und bekommen mit dem Tag des Einzugs eine intensive Betreuung. Zuerst geht es um Stabilisierung. Danach geht es darum, eine Perspektive für diese Person zu finden.“
Ein Schlafsack hält warm, aber bringt die Person nicht von der Straße weg.
Elisabeth Hammer über akute Hilfe und langfristige Lösungen in der Obdach- und wohnungslosenhilfe.
„Ein Schlafsack hält warm, aber bringt die Person nicht von der Straße weg. Klar ist: Der wirkungsvollste Hebel, um Wohnungslosigkeit zu beenden, heißt Housing First. Es geht darum, Menschen zu unterstützen, eine eigene Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag zu bekommen. Das funktioniert wunderbar bei Personen, die ein Einkommen haben und denen wir eine leistbare Wohnung vermitteln können. Die Erfahrungen von neunerhaus zeigen, dass nach drei Jahren 93 Prozent noch in ihrer Wohnung leben. Aber es braucht eben leistbare Wohnungen. Hier sind der kommunale, der gemeinnützige und der private Sektor am Wohnungsmarkt gefragt. Das neunerhaus kooperiert in erster Linie mit gemeinnützigen Trägern. Wir würden uns noch mehr Engagement vom kommunalen Bereich wünschen.“
Hier geht’s zum Falter-Interview vom 20.11.2024 in voller Länge.