„Nennt mich ruhig Horstl!“ Horstl, der eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben möchte, lacht. Hier erzählt, warum er über ein Jahr lang obdachlos war und mit welchen Ängsten er in dieser Zeit zu kämpfen hatte.
Ich bin in diese wohnungslose Situation gekommen, als mein Vater vor zwei Jahren in der Gemeindewohnung verstorben ist. Ich habe ihn gefunden in der Wohnung. Das war sehr schlimm für mich. Ich habe gesagt, ich kann in dieser Wohnung nicht mehr (bricht ab). Das kann ich nicht, das zerstört mich halt und irgendwie kann ich das nicht mit mir vereinbaren.
Bis zum Tod seines Vaters lebte er gemeinsam mit seiner Schwester in der Gemeindewohnung.
Ich hatte ein bisschen was angespart. Meine Mutter ist nach der Scheidung 2006 zurück nach Brasilien gegangen. Sie hat uns quasi verlassen, ihre Familie halt. Und ich habe dann gesagt, ok ich nehme mein letztes Geld und gehe auch dorthin. Weil, ich kannte meine Mutter kaum, nur aus Erzählungen und ich wollte das ändern. Ich wollte ihr erzählen, dass mein Vater gestorben ist, ich wollte das verarbeiten. Ich habe das als Chance gesehen, aber ja. Jetzt bereue ich das ein bisschen.
In Brasilien wollte der 30-Jährige seine eigene Geschichte, den Verlust des Vaters und den Beziehungsabbruch zu seiner Mutter aufarbeiten. Im April 2023 kehrt er unverrichteter Dinge nach Wien zurück.
Einer der Hauptgründe, warum das dann passiert ist (Anm.: Wohnungslosigkeit), ist, weil ich mich vor meinem Abflug beim Meldeamt abgemeldet habe – ich Lustiger. Und ich wusste nicht, dass das Auswirkungen haben wird. In dem Fall war das so, dass ich nach ca. zwei Monaten wieder von Brasilien zurückgekommen bin. Und dann stand ich da ohne Wohnung. Die Gemeindewohnung war ja schon weg. Ich habe dann nachgefragt, wie das so geht und dann haben die mir gesagt, man muss den Lebensmittelpunkt in Wien haben und einen ununterbrochenen Aufenthalt mit Hauptmeldung in Wien für mindestens zwei Jahren. Und das war der große Grund. Weil, ich hatte diese Meldelücke von zwei Monaten. Ich war mein Leben lang in Wien gemeldet, bis auf diese zwei Monate und habe dann den Anspruch auf eine Gemeindewohnung verloren.
Am ärgsten fand ich den Fakt, dass es halt wirklich wegen eines Stück Papiers dazu kam. Wegen dieser Abmeldung, sonst wär‘ ich nie in dieser Situation gewesen, das fand ich am erschreckendsten.
Der 30-Jährige Wiener – er will hier Horstl genannt werden – hat aufgrund einer Meldelücke von zwei Monaten seinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung verloren.
Der 30-Jährige kommt zunächst noch bei Freund*innen und Verwandten unter – er ist verdeckt wohnungslos. Dann wird er obdachlos. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Obdach- und Wohnungslosigkeit? Hier die Antwort.
Am Anfang habe ich noch bei Verwandten und Freunden gewohnt, aber das ging auch nicht für immer (kommt ins Stocken). Man kann halt nicht für immer bei denen hausen. Und ab und zu war ich im Sommer in öffentlichen Räumen, in Parks und so. Aber nicht in Wien. Da war es mir zu gefährlich. Sondern irgendwo in Niederösterreich oder so. Ab und zu ist die Polizei gekommen und hat versucht mich aufzuwecken, aber die waren nicht sehr freundlich. Die haben das in einem argen Tonfall gemacht, wie wenn man so Dreck oder so ist. Ich habe gar nicht diskutiert, sondern habe einfach meine Sachen genommen und bin gegangen. Irgendwo anders hin.
Horstl hatte alles, was er braucht, in einem Rucksack. Den Rest brachte er bei Freund*innen und Bekannten unter.
Ich hatte nicht viel dabei. Das Nötigste halt. Wasser, ein Kissen hatte ich, eine Decke hatte ich gar nicht, aber dafür immer so dicke Hosen, damit es nicht zu kalt wird. Ich hatte auch immer ein bisschen Kleingeld und so eingesteckt. Ein Zelt habe ich gehabt, aber nicht immer, das war dann bei einem Bekannten, weil ich nicht wusste, ob ich das irgendwo aufbauen kann und dann hätte ich mich irgendwo in den Wald reinhauen müssen.
Horstl meldete sich beim Fonds Soziales Wien als offiziell wohnungslos. Er war damit einer von 20.000 Menschen in Österreich, die von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen sind.
Im Oktober 2023, den Tag weiß ich nicht mehr, meinte der Herr vom FSW, das wird so sechs Monate dauern, bis ich eine Wohnung habe. Oder kann auch länger dauern oder schneller gehen. Aber das hat für mich halt nix bedeutet. Dann habe ich auch probiert, derweil arbeiten zu gehen, aber das kannst du vergessen, weil der Kopf in der Zeit einfach nicht frei war, das ging absolut gar nicht.
Über ein Jahr lang ist Horstl wohnungs- und obdachlos. Die Zeit setzt ihm stark zu.
Es ist extrem arg, obdachlos zu sein. Ich war teilweise auch depressiv. Das sind dann Nervenzusammenbrüche, die man dann bekommt, was wahrscheinlich normal ist, wenn man in so einer Situation ist. Ich dachte, dass dieser Alptraum halt nie enden würde. Weil im Kopf, da arbeitet es. Der Verstand arbeitet die ganze Zeit und malt sich irgendwelche Situationen aus, wie: „Oh Gott, was mach‘ ich in zwei Monaten, da werde ich ja ausgeraubt oder verprügelt oder vielleicht bringt mich irgendwer um, wenn ich schlafe. Da gab es ja, das hab‘ ich mal gelesen, dass jemand obdachlose Menschen einfach abgestochen hat.
Ja und dann, mit diesen Gedanken und mit diesen Dämonen sag‘ ich einmal, musste ich halt fertig werden. Und das war natürlich nicht sehr leicht, und dann auch noch der Tod von meinem Vater, den zu verkraften. Das halt zusätzlich, das hat mir ziemlich zugesetzt. Ich bin irgendwie damit fertig geworden, weil ich wusste, diese Gedanken und diese Ängste sind nicht meine eigenen. Man kommt dann als ganz anderer Mensch wieder heraus, nicht mehr als der, der man früher einmal war. Und das prägt einen halt schon ziemlich.
Weil sich Horstl beim FSW als wohnungslos gemeldet hat, wird er an neunerhaus vermittelt. Eine Sozialarbeiterin von neunerhaus Housing First und Mobil betreutes Wohnen unterstützt ihn bei der Wohnungssuche. Im Sommer 2024 war es so weit. Horstl ist in seine eigene Wohnung gezogen.
Jetzt helfen – jetzt spenden!
369.000 Menschen in Österreich geben an, bereits einmal ohne eigene Wohnung gewesen zu sein. Wohnungslosigkeit betrifft längst nicht mehr nur jene, die am Rand unserer Gesellschaft stehen. Steigende Kosten bringen immer mehr in prekäre Lebensverhältnisse.