neunerhaus setzt sich seit mehr als 25 Jahren für sozialen Zusammenhalt ein und unterstützt obdach- und wohnungslose Menschen dabei, nachhaltig in ein stabiles Wohnverhältnis zu gelangen. Wir setzen auf starke Partner*innen und Kooperationen – und bringen uns mit unserer Expertise gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen ein.
Das Ziel dabei ist immer klar: eine inklusive Gesellschaft, in der alle Zugang zu Wohnen, Gesundheitsversorgung, sozialem Leben, Bildung und Arbeit haben. neunerhaus engagiert sich dafür, dass entsprechende Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Wohnungslosigkeit dauerhaft beendet wird.
Das Regierungsprogramm der Stadt Wien 2025–2030 ist eine Fortschreibung der vergangenen fünf Jahre. Wien bleibt sich treu – und setzt, trotz Teuerung und steigendem Druck auf das Sozialsystem, weiterhin auf einen sozialpolitischen Kurs. Viele Maßnahmen sind richtig und wichtig, andere bleiben vage oder greifen zu kurz. Vor allem beim Thema Wohnen wird deutlich: Wien steht an einem Punkt, an dem ein „Weiter wie bisher“ nicht ausreichen wird, um Wohnungslosigkeit wirksam zu beenden. Wir analysieren, was das Regierungsprogramm für obdach- und wohnungslose, nichtversicherte und armutsbetroffene Menschen bedeutet.
„Housing First“ im Regierungsprogramm – gut so, aber …
Wien bekennt sich zur Weiterführung bewährter Angebote für wohnungslose Menschen. Dazu zählen laut Regierungsprogramm unter anderem Chancenhäuser, Mobil betreutes Wohnen und Housing First. Dass Housing First explizit genannt wird, ist aus Sicht von neunerhaus zu begrüßen – es ist ein international anerkanntes Modell, das nachweislich Wohnungslosigkeit beenden kann.
Doch im kurzen Abschnitt zum Thema Wohnungslosigkeit im Regierungsprogramm bleibt vieles offen – konkrete Maßnahmen, Ausbauziele oder Finanzierungszusagen fehlen. Die Rahmenstrategie der Wiener Wohnungslosenhilfe sieht eine starke Ausrichtung auf mobile Betreuungsangebote vor. Aber: Aktuell bestehen lange Wartezeiten auf einen Betreuungsplatz im Mobil betreuten Wohnen – also auch bei Housing First.
Unsere Forderung: Für Housing First braucht es Finanzierungssicherheit und eine klare Ausbauperspektive: Nur mit einer gesicherten Finanzierung des Fonds Soziales Wien (FSW) und für soziale Einrichtungen, die Housing First in Wien umsetzen, kann Wien das Ziel erreichen, Wohnungslosigkeit dauerhaft zu beenden.
Bleibt leistbares Wohnen in Wien (nur) ein Traum?
Der Titel des wohnpolitischen Kapitels im Regierungsprogramm lautet: „Leistbarer Wohntraum und lebenswerter Stadtraum: Wien wohnt besser“. Doch hält der Inhalt, was der Titel verspricht?
Tatsächlich setzt das Programm stark auf Bewährtes: Weiterführung des geförderten Wohnbaus, Fortsetzung bestehender Wohnbauoffensiven. Doch für Menschen, die von Wohnungslosigkeit oder Wohnunsicherheit betroffen sind, braucht es mehr. Leistbares Wohnen ist eine zentrale Voraussetzung, um Wohnungslosigkeit zu verhindern – oder zu beenden.
Die Chance, hier neue Impulse zu setzen, wurde verpasst. Eine echte soziale Wohnbauoffensive mit Fokus auf Menschen in prekären Lebenslagen fehlt. Eine soziale Definition von Leistbarkeit fehlt in der wohnpolitischen Ausrichtung des Programms – ebenso wie ein klares Bekenntnis dazu, dass die Stadt auch ganz explizit (ehemals) obdach- und wohnungslosen Menschen leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellt.
neunerhaus definiert Leistbarkeit klar: Leistbarkeit setzt bei der Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe als Untergrenze an, da etliche Menschen in der Wohnungslosenhilfe temporär auf sie angewiesen sind – und auch geringe Arbeitseinkommen für diese Zielgruppen die Lebensrealität sind. Maximal 45 % des Haushaltseinkommens (inkl. Energiekosten) dürfen für Wohnkosten aufgewendet werden.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Was heißt leistbares Wohnen?
Ein richtiger und wichtiger nächster Schritt: Soziale Wohnungsvergabe
Positiv hervorzuheben ist die angekündigte Reform der Wohnungsvergabe. Anstelle einer starren Liste von Vergabekriterien soll künftig ein flexibles Modell treten, das sich stärker an individuellen Bedürfnissen orientiert. Ein Paradigmenwechsel, den neunerhaus sehr begrüßt.
Wichtig ist nun die konkrete Ausgestaltung – und hier bleibt das Programm vage. Aus unserer Sicht muss die neue Wohnungsvergabe sozial treffsicher, schnell, transparent und niederschwellig gestaltet werden. Digitale Hürden sind abzubauen, klare Kriterien müssen nachvollziehbar gemacht werden.
Konkret fordert neunerhaus:
- Einführung des Kriteriums „Wohnkostenüberbelastung“ im Vergabeverfahren über das Wohnticket ab 2026
- Mitsprache von Expert*innen aus Praxis und Zivilgesellschaft bei der Ausgestaltung des neuen Modells – wir stehen zur Verfügung, diese Reform aktiv mitzugestalten!
Leerstandsabgabe – guter Gedanke, ungenutztes Potenzial
Im Vorfeld der Wahl hat die SPÖ auf unsere Frage zu leistbarem Wohnen geantwortet, dass das Wohnungsangebot durch die Vermietung derzeit leerstehender Wohnungen im Rahmen einer „Leerstandsabgabe“ mobilisiert werden soll. Im Regierungsprogramm finden sich nun vage Hinweise auf eine Leerstandsdatenbank – jedoch nicht im wohnpolitischen, sondern im wirtschaftspolitischen Kapitel.
Dass die Leerstandsdatenbank nicht mit wohnpolitischen Zielen verknüpft wird, ist bedauerlich. Angesichts der Wohnungsknappheit wäre es ein starkes Signal gewesen, Leerstand gezielt für leistbaren Wohnraum zu nutzen.
Unsere Forderung: Leerstand erheben, sichtbar machen und für leistbares Wohnen mobilisieren.
Weitere Aspekte – Gesundheit, Arbeit, soziale Absicherung
Gesundheit
Wien bekennt sich zu einem öffentlichen und solidarisch finanzierten Gesundheitswesen – ein starkes Zeichen, das wir ausdrücklich begrüßen. Auch zielgruppenspezifische Angebote und der Ausbau von regionalen Gesundheitszentren werden angekündigt.
Doch: Zur psychosozialen Versorgung – auch in der Wohnungslosenhilfe – bleibt das Programm erstaunlich wortkarg. Dabei ist der Bedarf groß und die Dringlichkeit seit Jahren bekannt. Ebenso fehlen konkrete Aussagen zu Peer-Mitarbeiter*innen und Genesungsbegleiter*innen im Gesundheits- und Sozialbereich – ein wichtiges und wirkungsvolles Element in der Betreuung und Versorgung vulnerabler Gruppen.
Frauenfokus
Positiv ist der Fokus auf Frauen in den Bereichen Gesundheit und Arbeit. Gerade Frauen sind häufig von verdeckter Wohnungslosigkeit betroffen – hier braucht es maßgeschneiderte Angebote und den konsequenten Auf- und Ausbau frauenspezifischer Zugänge zu Gesundheit, Arbeit und Wohnen.
Reform der Mindestsicherung
Mit Sorge blickt neunerhaus auf die angekündigten Überlegungen zur Reform der Wiener Mindestsicherung und einer bundesweiten „Nivellierung nach unten“. Für viele armutsbetroffene Menschen ist sie das letzte Auffangnetz – eine Einschränkung oder Erschwerung des Zugangs würde die Situation der Betroffenen massiv verschärfen. Wir appellieren an die Stadtregierung, dieses Netz nicht zu schwächen, sondern zu sichern.
Unser Fazit
Das Regierungsprogramm 2025–2030 enthält viele richtige Ansätze – und gleichzeitig Lücken, die aus unserer Sicht geschlossen werden müssen. Besonders im Bereich Wohnen braucht es deutlich mehr Ambition, um Wohnungslosigkeit nicht nur zu verwalten, sondern zu beenden.
Wir sehen unsere Rolle als zivilgesellschaftliche Organisation darin, konstruktiv-kritisch zu begleiten, das heißt für uns positive Entwicklungen herauszustreichen, auf Lücken hinzuweisen und die Zukunft aktiv mitzugestalten. Denn: Wohnungslosigkeit ist kein Naturgesetz – Wohnungslosigkeit ist beendbar. Es braucht dafür politischen Willen, mutige Entscheidungen und starke Kooperationen.
Wien hat sich in der Vergangenheit vielfach als soziale Stadt bewiesen. Wir hoffen, dass die angekündigten Maßnahmen auch in der Umsetzung diesem Anspruch gerecht werden – für eine Stadt, in der alle Menschen sicher wohnen, gesund leben und in Würde am sozialen Leben teilhaben können.