
Gute Fragen: In welchen Bereichen werden obdach- und wohnungslose Menschen diskriminiert, welche Auswirkungen hat das auf ihr Leben und wie antwortet neunerhaus darauf?
Was ist Diskriminierung und wann spricht man von Mehrfachdiskriminierung?
Eine Diskriminierung ist eine Handlung, die zu Ausgrenzung oder Schlechterstellung von Personen führt. Wer diskriminiert wird, erfährt aufgrund bestimmter Merkmale wie Religion, nationale oder soziale Herkunft, Sprache, physisches Äußeres, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter oder Behinderung Nachteile, die sich auf das gesamte Leben auswirken können. Amnesty International liefert hier eine detaillierte Schilderung von Diskriminierung.
Obdach- und wohnungslose Menschen sind meist von Mehrfachdiskriminierung betroffen. So werden obdach- und wohnungslose Frauen nicht nur diskriminiert, weil sie keinen festen Wohnsitz haben, sondern auch aufgrund ihres Geschlechts: In der Wohnungslosenhilfe fehlt es oftmals an Angeboten für obdach- und wohnungslose Frauen. Herkömmliche Angebote bieten ihnen meist nicht jenen Schutz, den sie in dieser ohnehin schon extremen Situation benötigen würden.
Obdach- und wohnungslose Menschen werden am Arbeitsmarkt und im formalen Ausbildungssektor diskriminiert.
Eine fehlende oder „falsche“ Meldeadresse (beispielsweise Notquartier), Vorurteile gegenüber obdach- und wohnungslosen Menschen, lückenhafte Lebensläufe, fehlende Abschlüsse oder Arbeitsmarktzugänge führen dazu, dass obdach- und wohnungslose Menschen keine Arbeit oder keinen Ausbildungsplatz erhalten oder in schlecht bezahlten oder nicht angemeldeten Jobs landen.
Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit wirken sich auf das gesamte Leben aus: Wie wir wohnen, wie es uns geht, wie wir uns selbst sehen, wie uns die Gesellschaft wahrnimmt und wie wir in ihr eingebettet und anerkannt sind.
Antwort neunerhaus
- Am neunerhaus Peer Campus absolvieren jährlich bis zu 20 ehemals obdach- oder wohnungslose Menschen die Ausbildung zum Peer. Der Abschluss befähigt sie zur Peer Arbeit in der Wiener Wohnungslosenhilfe. Diese Arbeit baut Hürden zum Arbeitsmarkt ab, ermöglicht ein eigenständiges Einkommen, ein selbstbestimmtes Leben und soziale Teilhabe. Hier erzählt Peer Jenifer A., über ihre Arbeit als Peer., hier erklären wir Peer-Arbeit.
- Mit den niederschwelligen sozialarbeiterischen Angeboten bei neunerhaus (neunerhaus Café, Housing First und Mobil betreutes Wohnen, Wohnhäuser) arbeiten wir gemeinsam an einer langfristigen Perspektive. Das zeigt die Geschichte von Markus K., der in das neunerhaus Wohnhaus Hagenmüllergasse gezogen ist und nach der dringend notwendigen Stabilisierung wieder Kraft gefunden und 2025 die Ausbildung zum Peer-Mitarbeiter abgeschlossen hat. Langfristig ist sein Plan, wieder in einer eigenen Wohnung zu leben.
- Mit den niederschwelligen sozialarbeiterischen Angeboten bei neunerhaus (neunerhaus Café, Housing First und Mobil betreutes Wohnen, Wohnhäuser) arbeiten wir gemeinsam an einer langfristigen Perspektive. Das zeigt die Geschichte von Markus K., der in das neunerhaus Wohnhaus Hagenmüllergasse gezogen ist und nach der dringend notwendigen Stabilisierung wieder Kraft gefunden und 2025 die Ausbildung zum Peer-Mitarbeiter abgeschlossen hat. Langfristig ist sein Plan, wieder in einer eigenen Wohnung zu leben.
Obdach- und wohnungslose Menschen werden im Gesundheitssystem diskriminiert
Menschen, die nichtversichert sind, sind vom Gesundheitssystem ausgeschlossen. Obdach- und wohnungslose Menschen sind nicht nur einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt, sie berichten auch von Beschämung und Abwertungen in Gesundheitseinrichtungen und meiden sie deshalb lange Zeit.
Krankheiten werden gar nicht oder zu spät diagnostiziert und behandelt, prekäre Lebensverhältnisse erschweren die Genesung, die Lebenserwartung von obdach- und wohnungslosen Menschen liegt weit unter dem Durchschnitt.
Antwort neunerhaus
- neunerhaus denkt Gesundheit und Soziales zusammen. Das neunerhaus Gesundheitszentrum umfasst eine Arztpraxis, Pflege- und Wundmanagement, eine Zahnarztpraxis und die Praxis Psychische Gesundheit. Die niederschwellige Sozialarbeit im neunerhaus Gesundheitszentrum arbeitet mit den Patient*innen daran, Einkommen zu sichern und den Versicherungsstatus zu erhalten. neunerhaus Mobile Ärzt*innen sind in knapp 30 Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe unterwegs und fungieren am neunerhaus Gesundheitstelefon als Schnittstelle zwischen Wiener Wohnungslosenhilfe und den Gesundheitseinrichtungen.
- In den neunerhaus Wohnhäusern arbeiten Gesundheitsfachkräfte an der Seite von Sozialarbeiter*innen, Peer-Mitarbeiter*innen und Assistent*innen für Wohnen und Alltag daran, die Gesundheit der Bewohner*innen zu stabilisieren.
Obdach- und wohnungslose sowie armutsbetroffene Menschen werden aus dem sozialen und öffentlichen Raum gedrängt und von sozialer Teilhabe ausgeschlossen.
Konsumfreie Räume werden weniger – soziale Teilhabe und Freizeitaktivitäten kosten Geld. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben oder sich wenig leisten können, werden im öffentlichen Raum, in der Stadt, im Kaffeehaus, im Park zu „Störfaktoren“. Betroffene werden mit abwertenden Blicken und beleidigenden Worten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gedrängt, stadtpolitische Maßnahmen und defensive Architektur können konsumfreie Räume und das Verweilen in der Öffentlichkeit weiter einschränken.
Betroffene fühlen sich unzulänglich, werden beschämt, beschimpft, im schlimmsten Fall körperlich attackiert. Sie ziehen sich dahin zurück, wo sie nicht gesehen werden – und dadurch auch keinen Schutz erfahren. Die dahinterliegenden systematischen Diskriminierungen bleiben unsichtbar, Politik und Gesellschaft können sich leichter aus der Verantwortung stehlen.
Antwort neunerhaus:
- Das neunerhaus Café im 5. Wiener Gemeindebezirk bietet obdach- und wohnungslosen sowie armutsbetroffenen Menschen ein gesundes Mittagessen gegen eine freiwillige Spende und berät in schwierigen Situationen oder existentiellen Krisen.
- neunerhaus Peer Campus (siehe oben)
- Die neunerhaus Tierarztpraxis versorgt die Tiere obdach- und wohnungsloser Menschen kostenlos. Viele Nutzer*innen knüpfen über ihre Tiere wieder Kontakt zu anderen oder finden über die Sozialarbeit*innen den Weg zu anderen Einrichtungen von neunerhaus, wie das neunerhaus Café oder das Gesundheitszentrum.
Obdach- und wohnungslose sowie armutsbetroffene Menschen werden am Wohnungsmarkt diskriminiert
Es fehlen leistbare Wohnungen, die mit einem geringen Einkommen langfristig bezahlbar sind und wo nach Abzug der Mietkosten noch genug für ein gutes Leben übrigbleibt (hier zur Definition leistbares Wohnen). Neben den Zugangsbarrieren zum sozialen Wohnbau – wie etwa Meldedauer oder finanzielle Hürden – können auch die soziale und ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Familienkonstellation (große Familien, aber auch Alleinerzieherinnen) Alter und Behinderung dazu führen, dass sich Vermieterinnen gegen diese Personen entscheiden.
Obwohl Obdach- und Wohnungslosigkeit jeden treffen kann, sind manche Personengruppen einem höheren Risiko ausgesetzt, obdach- oder wohnungslos zu werden. Dazu zählen beispielsweise Geringverdienerinnen, junge Erwachsene, Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Zu den Gründen für Obdach- und Wohnungslosigkeit.
Antwort neunerhaus
Ein Leben in den eigenen vier Wänden, mit Partner*in, Haustier(en) und einem eigenen Schlüssel: Das bedeutet Wohnen bei neunerhaus. Selbstbestimmung, Menschenwürde und Selbstbefähigung stehen an oberster Stelle – sowohl in den neunerhaus Wohnhäusern als auch in der eigenen Wohnung mit Begleitung über neunerhaus Housing First und Mobil betreutes Wohnen. Gleichzeitig gestaltet neunerhaus politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen mit, um Wohnen leistbarer und inklusiver zu machen und Wohnungslosigkeit zu beenden.
Öffentliche und mediale Abwertung von obdach- und wohnungslosen Menschen
Wie: Sprache schafft Realität. Wie wir über Menschen sprechen, beeinflusst unseren Umgang mit ihnen. Das öffentliche Bewusstsein von Obdach- und Wohnungslosigkeit ist zu einem großen Teil noch immer durch das Bild des alkoholkranken Mannes auf der Parkbank geprägt, der selbstverschuldet auf der Straße gelandet ist. Erwachsene, ältere Menschen, Frauen, Männer, Familien mit Kindern, Alleinerzieher*innen, in Österreich oder anderswo geborene Menschen: neunerhaus sieht jeden Tag, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit kein Alter, kein Geschlecht und keine Herkunft kennt.
Antwort neunerhaus
Im Mittelpunkt unserer Öffentlichkeitsarbeit stehen jene Menschen, für die wir uns einsetzen: obdach- und wohnungslose sowie armutsbetroffene Menschen. Wir zeigen die Bandbreite an betroffenen Menschen und Ursachen für obdach- und Wohnungslosigkeit. Dazu sprechen wir mit Menschen, die Unsagbares erlebt und überlebt haben und sich gerade zurück in ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben kämpfen. Wir berichten nie voyeuristisch, sie entscheiden selbst, was sie uns im persönlichen Gespräch erzählen wollen. Ihr (Überlebens-)Wille und ihre Kraft, die sie immer wieder aufbringen, um aufzustehen und weiterzukämpfen, beeindrucken uns. Diesen Respekt wollen wir mit unseren Geschichten und unseren Bildern zeigen.
Umkehr von Scham und Schuld
Diskriminierung schließt Menschen aus, wertet sie ab, führt dazu, dass die einen in schlechtbezahlten oder unsicheren Jobs landen, einem höheren Risiko von Gewalt ausgesetzt sind, eher von Wohnungsverlust bedroht sind. Diskriminierung passiert systematisch und strukturell. Das bleibt oft unsichtbar. Es ist nicht die Schuld der Einzelnen, dass sie unter den Folgen von Diskriminierung leiden, aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe diese zu beseitigen.
Das ist alles ziemlich deprimierend. Was kann ich tun?
- Partei ergreifen, wenn jemand diskriminiert wird.
- Menschen im eigenen Umfeld unterstützen, die Hilfe brauchen.
- Im Alltag auf eine inklusive Sprache achten, die alle Menschen gleichermaßen berücksichtigt.
- Beiträge von neunerhaus teilen und mit einer Spende unterstützen.